Tannenbaum Düsseldorf
Am 15.April 1982, heute vor 35 Jahren, öffnete ich zum ersten Mal die Türen meiner Lokalität TANNENBAUM in Düsseldorf-Derendorf. Nach viermonatigem Umbau und zum Teil eigener Renovierung und mehrmaliger Verschiebung des Öffnungstermins war es endlich soweit. Bis 1998 hielt ich durch. Ich war Kreativer und kein Gastronom. Nie vorher hatte ich ein Kellnertablett in der Hand gehabt und von Einkauf und Abrechnung in der Gastronomie hatte ich keine Ahnung. Später hatte ich viel gelernt, wollte aber 1998 nicht weiter machen.
1981 wurde ich an den Augen operiert. Ich fragte meine Augenärztin Frau Dr. Köcher, ob ich danach im hellen Licht von Griechenland Urlaub machen darf. Sie fragte den Operateur im Martinus-Krankenhaus, Herrn Prof. Dr. Kehr. „Lassen Sie den Mann nach Griechenland fahren, der sieht das Land sowieso das letzte Mal“, war seine Antwort.
Was sollte ich also machen nach einer Erblindung? Ein eigenes Restaurant, in dem ich noch eine warme Suppe bekomme, wenn ich nicht mehr mithelfen kann, war machbar !!!
Wir waren fast ein Jahr auf der Suche. Keiner wollte mit einem Newcomer einen Vertrag machen. Das total herunter gekommene, seit fast einem Jahr leer stehende Loch an der Tannenstrasse war die einzige Möglichkeit.
leerstehedes Lokal an der Tannenstrasse 1981 |
In der Umgebung gab es fast nichts außer dem „la Capannina“, einem Edel-Italiener. Der Knast war um die Ecke. Für die Malocher von Mercedes Benz, Rheinmetall, dem Schlachthof usw. gab es nichts außer dem geschlossenen Lokal, in dem sechsmal in zwei Jahren der Pächter gewechselt hatte. Als die von meinen Plänen hörten, wurde in der ganzen Gegend kolportiert, „die wollen ihren alten Laden zurück haben, und sei es mit Gewalt.“ Ich hatte Angst und bat um Infos und Hilfe. Mein SPD-Freund Jogi Vormbrock erklärte: „Wir können nichts machen. Du wirst wohl einmal renovieren müssen.“
fast renoviertes Lokal TANNENBAUM mit lachendemm Signet |
Ich wollte keine „normale“ Kneipe machen und mir am Tresen anhören, wenn sich Leute auskotzten und mit Bier und Schnaps nachfüllen. Es wurden 240 internationale Tageszeitungstitel in vertikalen Reihen tapeziert (die hängen noch heute und man kann das Eröffnungsjahr ablesen).
Vorne installierte ich eine 360x255cm große Plakatwand, weil ich den Arschlöchern in der Stadt, die mich an den öffentlichen, bezahlten (!) Wänden dauernd zensierten, etwas Eigenes entgegenhalten wollte. Andere, wechselnde Texte und Zitate wurden auf Tafeln rund um den Tresen gemalt. Im hinteren Speiseraum hingen Arbeiten von Beuys, Polke, Richter, Altvater, Bayrle, B+H Becher, Duchow, Buthe, Wunderlich, Ungerer, Tapies, Paik, Ramos, Esser, Leupin, Nemo, Lichtenstein, Brus, Vautier, Hundertwasser und von vielen Freunden aus Düsseldorf. In der Galerie, die nicht gastronomisch genutzt wurde, fanden in der Folgezeit jährlich etwa 10 Ausstellungen statt, die sonst niemand zu zeigen wagte (z.B. Ausländerhass, Pornographie, Neonazis, Hausbesetzer, Nahost-Krieg usw.). Es gab etliche Einbrüche, aber die Alarmanlagen funktionierten.
Plakatwand im TANNENBAUM |
Macker-Männer und Maja - Plakatwand im TANNENBAUM |
Tafel am Tresen |
Natürlich gab es anfangs unerfreulichen Besuch. Malocher im Unterhemd und Rocker machten Probleme, schraubten an den Pissoirs unten die Verschlüsse ab, zerbrachen massenhaft Biergläser, grölten und wollten sich besaufen. Meine Kellner waren angewiesen, keinem etwas Alkoholisches zu verkaufen, wenn er nicht mehr verbal klar bestellen kann. Außerdem legte ich für diese Gesellschaft immer gern Beethoven und Chopin auf. (hahaha) Irgendwann war das Publikum gut sortiert.
In der Küche stand anfangs ein ausrangierter Gas-Kochherd meiner Mutter (hahahahaha!) Nach zwei Monaten musste ein professioneller Herd gekauft werden. Wir fingen mit kleiner Küche von 12 Gerichten an. Tsatsiki, griechischer Bauernsalat, Straßburger Nudelauflauf, grüne Nudeln Alfredo und Kalter Hund (nach einem uralten Rezept meiner Mutter) stehen auch heute nach 35 Jahren noch auf der Karte.
TANNENBAUM nach Renovierung 1991 |
Ich habe versucht, meinen MitarbeiterInnen und mir selbst die Zeit so schön wie möglich zu machen. Wir haben viele Feste gefeiert und einmal im Jahr war Pause und es gab ein „Betriebsfest“. Da wurde z.B. das Münsterbad zur Hälfte gemietet und wir veranstalteten mit zwei Team-Mannschaften Schwimmwettbewerbe mit Regenschirmen in einer Hand, Bällen zwischen den Füßen, Steinetauchen und andere Späße. Anschließend wurde gegessen und es gab Geschenke. So etwas waren für mich die absoluten Highlights. Und es wurden auch Freundschaften geschlossen. Klaus Staeck, Dr. Wieland König vom Stadtmuseum, einige andere und natürlich meine Eltern hatten eine lebenslängliche Freikarte für Essen und Trinken. Entsprechend hoch war der Tip für die Kellner, die übrigens auf meine Empfehlung immer gutes Trinkgeld an die Küche abgaben.
Am letzten Tag des Jahres 1998 waren die Gäste eingeladen, unentgeldlich alle Vorräte an Essen und Getränken leer zu machen, damit ich nicht so viel Arbeit mit der Inventur hatte. Es war mein letzter Tag. Mein vom ersten Tag an mit mir arbeitender Kellner Jorgo flüsterte mir zu: „Du kommst wieder. Der TANNENBAUM ist dein Kind.“ Nein, man muss auch loslassen können und sich nur noch erinnern.
TANNENBAUM heute, Der neue Beitzer, Andreas Bär, versuchte das Signet mit einem Bär zu kombinieren. |
Die hier gezeigten Bilder fand ich auf meiner Festplatte oder im Internet. Mehr habe ich nicht.
Das gesamte Bild und Akten-Material von der ersten Besichtigung 1982 an, dem Umbau, den Ausstellungen, den Festen, den TV-Sendungen aus dem Lokal bis zu meinem Abschied 1998, mehrere tausend Dokumente, habe ich dem Stadtmuseum Düsseldorf geschenkt. Ebenso alles Bild-, Film- und Aktenmaterial meiner gesamten kreativen Vergangenheit. Man versprach eine umgehende Digitalisierung und Publizierung. Aber alles lagert und modert in irgendeinem Museums-Fundus-Keller.
Ich wünsche dem TANNENBAUM, seinem Team und seinen Gästen weitere, gute 35 Jahre.
Manfred Spies, 15. April 2017