Mittwoch, 28. Juli 2021

Covid City Pak Chong,

 Bei uns in Pak Chong / Nakhon Ratchasima, 29.7.2021


Vor einer Woche, am 21.7.2021 schrieb ich, dass in unserer kleinen Isaanstadt das Virus explosionsartig zugeschlagen hat. 

Heute fahren nicht nur Lautsprecherwagen mit Warnungen durch die Gegend, sondern Helferinnen und Helfer klingeln an jedem Haus und fordern die Bewohner auf, sich mit ihrer ID-Card an einer Impfstation zu melden. Luck lässt sich mit Sinovac (1) und danach zweimal mit AstraZeneca behandeln. Ansonsten gibt es für Menschen ab 70 eine totale Ausgangsperre. Das ist Krieg.


Ein Haus wird von Sicherheitskräften evakuiert

Hunderte Meter geschlossener Geschäfte an der Hauptstraße

Nicht nur fast alle Geschäfte, Tages-, Wochen- und Nachtmärkte sind geschlossen, jetzt auch etliche 7eleven-Shops und sogar der große Tesco-Lotos-Discounter, nachdem es dort viele Infizierte gab. Wie sollen die armen, oft unmotorisierten Menschen einkaufen? Wo bekommen sie Reste geschenkt?  

Luck hat vorgesorgt, die Kühlschränke sind voll, im Garten ist genug Bio-Obst und -Gemüse. Aber wenn ich an die Menschen in unserer Umgebung danke, könnte ich heulen. Natürlich gibt es Suizid, aber davon spricht niemand. Die Stadt ist schon tot genug.


Die umliegenden Tempel habe ihre Versammlungsräume (Wihan) für Kranke zur Verfügung gestellt, weil die Hospitäler keine freien Betten haben. Dort werden die Toten sofort ohne Angehörige verbrannt. Die gemeldeten Zahlen kann man vergessen: Die Menschen sterben und niemand weiss genau, woran.

 

Ich wollte mit Luck durch die Stadt fahren und fotografieren und dokumentieren. Da bekam sie fast einen Wutanfall und schloss alle Türen ab. Die beiden Fotos hat sie aus dem fahrenden Auto ihrer Schwester gemacht.

Uns geht es immer noch gut. Aber kann man sich vorstellen, wie es Vätern und Müttern geht, wenn sie nichts mehr für die Kleinen zu essen besorgen können und die Oma leise singend seit Stunden ein totes Baby im Arm hat? 

Nein, das kann man sich nicht vorstellen.



Manfred Spies, 29.7.2021

Mittwoch, 21. Juli 2021

Klima-Flachdenker

Für Klimaleugner zum Nachdenken - wenn das möglich ist:


In den Jahren 2006 bis 2021 gab es Starkregen mit Überflutung:


weltweit            36 mal

in Deutschland 7 mal


50 Jahre zuvor gab es 1956 bis 1971, also auch in einem Zeitraum von 15 Jahren, Starkregen mit Überflutung:


weltweit            2 mal

in Deutschland 1 mal (1962)


Aber für Flachdenker ist die Erde flach, Statistiken lügen und Klima ist, wenn die Sonne scheint. Und bei Regen ist Regen und Wetter wandelt sich. Ganz einfach.




Überflutende News - und danach?

Überflutende News - und danach?

Wir haben Erfahrungen, wir werden informiert, aber wir sind unglückdement.





Natürlich haben auch unsere etwas wohlhabenderen Verwandten in Bangkok ihre Häuser in der Nähe des Chao Phraya gebaut. Seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler vor Monsun-Starkregen, der zusammen mit Stürmen zu Katastrophen führen kann. Bangkok liegt zum Teil unter dem Meeresspiegel. 

Unsere Verwandten verloren in der unteren Etage alles. Wochenlang wohnten sie in einem Condo. Aber sie zogen nicht um, sondern bauten alles wieder für die nächste Flut auf.

Es gibt einen informativen Artikel in thaisabai über die Ursachen:


https://www.thaisabai.de/thailand-info/hochwasser-thailand


Katastrophen sind auch in Deutschland u.a. auf Unvernunft und katastrophale Baumängel zurückzuführen, wie in Hamburg 1962. Man hatte aus dem nur zehn Jahre zurück liegenden Flutunglück in den Niederlanden nichts gelernt 

(Wiki: Ursächlich für das Ausmaß der Katastrophe in Hamburg waren gravierende städtebauliche und verwaltungsorganisatorische Mängel sowie technisch unzureichende und teilweise schlecht gepflegte Deiche und andere Hochwasserschutzeinrichtungen.)


Was dieses Thema angeht, so haben wir in unserem Blog oft dazu dokumentiert. Hier ein schöner Beitrag von 2015:


https://thailand-pimpaka.blogspot.com/2015/09/thailand-regen-politik-korruption-und.html


Luck und Manfred

23.7.2021








Donnerstag, 8. Juli 2021

Vorsicht und Leichtsinn

„Vorsicht ist keine Feigheit

Leichtsinn ist kein Mut!“ (Sprichwort)


Wenn allerdings jemand aus rein kommerziellen Gründen bewusst hohe Risiken eingeht und damit auch das Leben anderer aufs Spiel setzt, gehört er in Isolationshaft.


Wenn eine Regierung nachweislich gegen den Rat von Wissenschaftlern und Ärzten das Leben des eigenen Volkes und das Leben von Touristen gefährdet, wenn sie sich auch nicht um die Angst von Dreiviertel der Bevölkerung kümmert und gegen deren Willen handelt, sollte sie verschwinden. Wo sind in Thailand die Volksmassen auf den Straßen, die sich wehren? Wo ist ein Generalstreik?

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Da sind drei Beispiele für meine Argumentation. Es gibt noch viel mehr. Warum nimmt eine Regierung nicht für jeden Normalbürger verständliche Fakten wahr, warum geht sie Risiken ein, die das Vielfache an zukünftigen Schäden verursachen  und deren Behebung ein Vielfaches dessen kostet, was ein Risikomanagement verursachen würde.


Wenn ich ein Haus in einem Überschwemmungsgebiet gebaut habe und mein Eigentum wird jedes Jahr überflutet und zerstört, dann baue ich doch nicht nebenan ein zweites Haus für die Kinder! 

Ich Suche ein höher gelegenes Grundstück. Das wissen doch Kinder, das kann man doch von einem Familienvater und noch mehr von einer Regierung erwarten. Wer allerdings glaubt, dass alles auf Befehl funktioniert, sollte sich von Kindern oder im Ernstfall von Ärzten beraten lassen. Vielleicht betrachten regierende Militärs tote Zivilisten generell als Collateralschäden? 

Phuket öffnet und...

...muss den Tanz auf dem Vulkan natürlich feiern.

Es kommen "gesunde" Touris in ein "gesundes Land"

das war Ende Juni und die Zahlen steigen

und die Zahlen steigen...

und die Zahlen steigen...

und die Zahlen steigen und es gibt die gefährlichste Mutation

Und das System schafft es nicht mehr IM JUNI. 
Aber Anfang Juli prophezeit die Thai-Behörde DAS DREIFACHE der Zahlen. Was dann?
 
rasant steigende Zahlen am 8.7.21

rasant steigende Zahlen am 9.7.21



Der absolute Wahnsinn: 10.000 Infizierte täglich?
Und es gibt überall fast keine Betten mehr....

Die Geldgier erreicht auch andere Inseln

Die Bildung der ThaischülerInnen ist eine Sache.
Und was ist mit der Regierung und den politischen Entscheidern?

Es gibt auch in solchen Zusammenhängen immer wieder den Spruch: 
"Aber die Hoffnung stirbt zuletzt." Klar, wenn wir GLAUBEN und nicht WISSEN WOLLEN sind wir schneller tot als jede Hoffnung.

Manfred Spies, 8.7.2021




Mittwoch, 7. Juli 2021

Tod des "Blütentraums"

Es ist doch nur ein Baum!

Wie bitte? Die Bäume in unseren Gärten waren immer mehr, als nur dekorative Pflanzen. Ob die Pflanzen ein "Leben" haben und empfinden können, werden wir in einigen Jahren genauer wissen. Die Forscher haben in den letzten hundert Jahren so Gewaltiges über die Natur herausgefunden, das geht weiter.

Aber unabhängig davon hat man einen Baum wachsen sehen, man hat ihn gepflegt und er hat viele Jahre mit seinem schönen Wuchs, seinen im Wind rauschenden und flüsternden Blättern und seinen wunderbaren Blüten uns etwas zurück gegeben.

Meine Frau Luck hat 2011 nach meinen Gartenplänen die ersten Bäume, Palmen und Sträucher gepflanzt. Ein Bäumchen, das seine zuerst blauen  und dann immer heller bis zum Weiss werdenden Blüten das ganze Jahr über trägt, gehörte dazu. Ich nannte ihn meinen "Blütentraum"-Baum. Sein botanische Name ist Solanum macranthum oder Solanum wrightii.


Viele unserer Besucher wollten Ableger mitnehmen. Als sie erfuhren, dass man um den Baum herum täglich sehr viele der Blüten und der großen Blätter einsammeln muss, überlegten sie es sich anders. Auch keiner unserer Farang-Nachbarn hat Laubhölzer im Garten, nur pflegeleichte Palmen.


Luck erklärte mir als Farmerstochter, dass er uns nur etwa fünf Jahre erfreuen kann. Er gehört wie viele andere - Bananen gehören auch dazu - zu den nicht langlebigen Pflanzen. Aber vielleicht wegen meiner guten Pflege und meiner lobenden Worte stand er 10 Jahre prächtig in unserem Garten und wurde so groß, dass wir die Berge und die Sonnenuntergänge nicht mehr sehen konnten. Nicht schlimm, ich hatte ja hunderte Fotos bereits gemacht.




Gestern tranken wir auf der oberen Terrasse nach dem Mittagessen einen Kaffee, als es plötzlich knackte, krachte und dann rauschte. Ein Teil des dreistämmigen "Blütentraums" war umgekippt, einfach so. Zum Glück machte der Gärtner eine Pause und Luck war auch nicht mit Blätterfegen beschäftigt. 


Ich sah bei dem "Restbaum" oben die vielen Blüten und plädierte für eine Rettung. Keine Chance, Die Fachleute machten mir klar, dass der Rest auch sehr brüchig und angefault sei und eine Stehenlassen gefährlich sei. 




So saß ich dann auf der Terrasse und sah zu, wie aus den abgesägten Ästen Kleinholz gemacht und der "Blütentraum" langsam von einem traurigen Erwachen abgelöst wurde. 



Selbst Luck sitzt jetzt nicht gern beim Frühstück oben auf der Terrasse, obwohl der Blick wieder frei ist auf die Farmlandschaft und die Berge.


Luck und Manfred,                                                                                                  7.Juli 2021

Montag, 5. Juli 2021

GARTENGÄSTE- WARANE

Ich bin ein Baumwaran/Bindenwaran aus Thailand.

Manfred und Luck haben einen Biogarten. Da gibt es viele Insekten und Vogeleier. Lecker sind auch schlafende Geckos. Blöd bei Manfred sind die Hunde, die aber nur bellen. Mit meinem Schwanz kann ich sie erschlagen.





Einmal ist ein Verwandter von mit in einen Baum geflüchtet. Der Rettungsdienst beförderte ihn nach unten und er verschwand im Urwald.




Manfred erzählt gern eine Geschichte:
„Ich habe einen großen Waran vor den Hunden mit dem Schlangenfänger in Sicherheit gebracht. Die Schlinge rutsche hoch zu seinem Hals und zog sich zu, als ich das schwere Tier über den Boden schleifte. Am Waldrand befreite ich den schönen, bewegungslosen Geretteten.
Es schien tot zu sein. Die Augen waren geschlossen, keine Atmung. Sehr traurig setzte ich mich neben den Waran und streichelte ihn mit zwei Fingern ganz sanft zwischen den Augen und über die Nase.
Nach etwa einer halben Minute bewegte sich sein Körper und er atmete. Er schlug die Augen auf und sah mich an, während ich weiter streichelt. Nein, er flüchtete nicht sofort, sondern bewegte seine Augen und sah zu mir hoch. Dann verschwand er langsam zwischen den Bäumen.
Ja, ich war glücklich. Ich hatte die Gewissheit dass es „Good Vibrations“ zwischen uns gegeben hatte. Wie wir Menschen und alle Vierbeiner, die ich kenne, genoss er das Streicheln an dieser Stelle als Beruhigung und vertraute mir. Das war etwas Wunderbares.“

Manfred Spies
5.4.2021

Freitag, 2. Juli 2021

Neue Freunde


Neue Freunde (Auszug)

Ich war abends von Bangkok kommend im Düsseldorfer Regen gelandet. Die „Abfertigung“ an diesem Großstadt-Airport entsprach in keiner Weise diesem bürokratischen Wort „Abfertigung“. Zwar waren wir schnell „fertig“, aber bei der Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wäre „Mitfertigung“ oder „Zusammenfertigung“ angemessener.


Der Taxifahrer mit iranischer Herkunft sprach für seine zwei Jahre Deutschland-Aufenthalt ein angemessenes Deutsch, mit dem mein Gymnasial-Englisch von sieben Jahren nicht vergleichbar war. Wie alle meine Freunde bestätigten, wurde ich damals ZUM GLÜCK von meinem Vater wutentbrannt von der Schule genommen, um „mich nach einer Lehre selbst ernähren zu können“. Später hat der gleiche Vater Zeitungsausschnitte über mich in einem Album gesammelt. Aber ich schweife ab.


Der Iraner war studierter Zahnmediziner ohne aktuelle Chancen, in Deutschland anerkannt zu werden. Ich zeigte ihm auf meine Hand gelegt mein künstliches Oberkiefergebiss, das ich seit einem Sturz aus fünf Metern Höhe auf mein Gesicht als Ersatz täglich angeklebt tragen muss, um bei meinen Gesprächspartnern keinen Schock auszulösen.. Er bemerkte. „Die Visage ist aber attraktiv geblieben!“ Ich bedankte mich für dieses ohne kommerziellen Hintergrund abgegebene Kompliment mit der Überreichung meiner Karte und dem Versprechen, wenn er meinem Gebiss einen festen Wohnsitz verschaffen könnte und diesen Umzug auch die Gesetzliche bezahlt,  würde ich ihn gern beauftragen und Werbung für ihn machen.

Vor der Wohnung meiner Freundin Brigitte auf der Prinz-Georg-Straße wurde ich abgesetzt. Wie immer warf sie den Schlüssel in einem Kuvert geknüddelt von der vierten Etage des Altbaus auf die Straße. Das Treppenlaufen ist für sie zu anstrengend geworden. Wir kennen uns seit 50 Jahren und sie ist ein Jahr älter als ich. Meinen Koffer schleppte ich langsam mit Pausen 116 Stufen zu ihr hinauf.




Brigitte ist Pädagogin und hatte immer ein Herz für Hilfsbedürftige in einer Welt, die sie auch bereiste und im Wortsinn "erlebte".

Natürlich gab es wieder eine halbe Nacht lang Spannendes zu erzählen, nachdem ich ihr heimlich einen Hunderter für ihr Afrika-Projekt im Flur unter die Schale aus Peru gesteckt hatte.

Brigitte besuchte auf ihren letzten Reisen nur Afrika. In Burkina Faso lernte sie über eine Lehrerin einen afrikanischen Schüler kennen, der sich selbst die deutsche Sprache beibrachte und ihr seine kleine Bibliothek deutschsprachiger Bücher zeigte. Da standen Märchen von Grimm und Hauff neben Goethe und Schiller. Brigitte war überwältigt und förderte jahrelang diesen wunderbaren jungen Mann. Der gläubige Christ Mohamed (mit einem M) wohnte später bei ihr und studierte in Münster Germanistik und Geschichte. Seine Diplom-Arbeit machte er über PARZIVAL, was die meisten Deutschen wahrscheinlich für eine Pasta-Variation oder einen süditalienischen Wein halten würden. Er lernte auch Mittelhochdeutsch und bei unserem Kennenlernen überrasche ich ihn mit Gedichten von Walther von der Vogelweide in Mittelhochdeutsch. 


„Under der linden

An der heide

Dâ unser zweier bette was

Dâ mugent ir vinden

Schône beide

Gebrochen bluomen unde gras

Vor dem walde in einem tal

Tandaradei

Schône sanc diu nahtegal….“


Welch eine poetische Umschreibung der Begegnung zweier Liebender in der freien Natur! Mohamed glänzte dann noch mit dem ältesten Gedicht in Althochdeutsch: Atta unsar.

Welch wunderbare Gespräche mit einem hochgebildeten Afrikaner, der von einer Unikarriere in Deutschland nichts wissen und seinem Volk sein Wissen schenken wollte!

„Er wird mal Kultusminister“, sagte seine jahrelange Förderin Brigitte. Wenn ich die Situation in Burkina Faso beobachte, habe ich Angst um ihn und seine inzwischen vierköpfige Familie.


Mohamed aus Burkina Faso mit Familie, Dipomarbeit über PARZIVAL

Mohameds Frau bei der Vorbereitung von Wasserflaschen, die sie aus Geldmangel - Mohamed hat noch immer keine Uni-Stelle . auf dem Markt verkauft. 


Nach dem bei Brigitte immer reichhaltigen Frühstück wurde ich von ihr zum Hauptbahnhof gebracht, wo auf Gleis 16 der IC nach Berlin wartete. Ich habe mich vor Jahren aus Düsseldorf abgemeldet und bin nach Lindow/Mark in Brandenburg gezogen. Meine Heimatstadt hatte mir wie hunderten andrer Künstler mit unerträglich viel Missachtung und Verfolgung weh getan. Ausser meinem Wohnsitz in Thailand erhoffte ich in der Ruhe von Lindow und in der Nähe von Berlin Frieden und eine menschliche, warme Nähe zu finden, die ich in dem weltoffenen aber menschenabgewandten „Klein Paris“ nie fand. Diese und die „Kunststadt“-Attitüden erlebte ich bereits seit meinem Kunstunterricht bei Heinz Mack im Leibniz.Gymnasium als verlogen.


Immer komme ich vom Hölzchen aufs Stückchen und aufs Blättlein. Aber so ist das eben bei lebendig flatternden Fantasien, die nicht in Volieren eingesperrt sind.




Ich saß ja schon längst im IC 2359. Angenehm, rechte Seite am Fenster in Reiserichtung, in den Händen ein kleines Buch, das als Lesestoff für die vier Stunden reichen sollte.

In Essen kam ein sehr gut aussehender, stattlicher Mann in mein Abteil, grüßte und nahm mir gegenüber am Fenster Platz. Über mein Buch hinweg musterte ich seinen dunkelblauen, fein gestreiften Anzug mit Weste und sein dazu passendes ganz hellblaues Hemd mit einer auffällig gemusterten Krawatte, die ihm einen Preis als Krawattenmann des Jahres hätte einbringen können. Die Schuhe des eleganten Herrn konnte ich nicht sehen, weil er etwas schräg saß und die Beine ausgestreckt hatte. 

Während ich noch überlegte, welchen Beruf ich ihm zuordnen könnte, frage er, „Woher haben Sie das Buch, das Sie da lesen?“



„Oh, ich bestellte es in Düsseldorf, weil ich es in Thailand, wo ich lebe, nicht bekomme. Der Autor ist zwar Thailänder, aber die meisten seiner Bücher sind verboten.“

„Das weiss ich. Ich kenne ihn sehr gut. Er hat mit einem vietnamesischen Abt und dem Dalai Lama die „Engagierten Buddhisten“ gegründet. Er kämpft für mein Ansehen. Pardon, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Buddha.“


Ich bin nun wirklich kein gläubiger Mensch, der Überirdisches, Göttliches und Mystisches in seine Wahrnehmungswelt reinlässt. Aber als mein Gegenüber diesen Satz aussprach, war plötzlich das Abteil von einer unerklärlichen Wärme und einem Gefühl sanfter Geborgenheit erfüllt. Ich hatte noch nie so urplötzlich zu jemandem Vertrauen gehabt. Als asiatischer Buddhist hätte ich mich sofort vor Verehrung auf den Boden schmeissen müssen. Aber ich wusste, dass der Gautama Buddha das strickt ablehnte, und es entsprach auch nicht meinem Verständnis von grundsätzlichem Miteinander. Wir hielten lange unsere Hände fest und in unseren Blicken gab es etwas wie ein Band, das um uns wehte und enger wurde.


„Ich bin auf der Reise nach Berlin. Gleich treffe ich noch Jesus, der in Hamm zusteigt und dann erwarten wir ab Hannover den Mohammed. Wir beraten uns schon lange und wollen jetzt bei einem internationalen Religionskongress  die sogenannte Fachwelt ein wenig aufmischen. Ich war ja als einziger für einen „Ideen-Kongress“, aber da hätten wir die ganzen Klima- und Umweltthemen dabei gehabt. Uns geht es jetzt besonders um den Missbrauch unserer ursprünglichen Werte und Lehren.

Komm doch mit und schreib etwas darüber. Du wirst dich besonders über den wütenden Mohammed wundern, der alleine schon aufgrund seiner verständlichen Eitelkeit sauer darüber ist, dass er im real existierenden Islam nicht abgebildet werden darf. In Berlin will er tausende seiner Portraits, fotografiert und gezeichnet, auf Straßen und vor Moscheen verteilen. 

Lass uns in den Speisewagen gehen und nach einem freien Tisch Ausschau halten.“


(Auszüge, „Neue Freunde“, © Manfred Spies 2020)







 

Donnerstag, 1. Juli 2021

Unerwartetes Wiedersehen (Buddha)

 Gestern traf ich ihn wieder und er begrüßte mich herzlich wie immer. Wir saßen uns im Zug nach Korat auf Holzbänken gegenüber und trugen beide weiße Masken. Deshalb habe ich ihn anfangs nicht erkannt. Aber dann sah ich diese Augen und diese Lachfältchen, die sein Lächeln verrieten, auch wenn ich seinen Mund nicht sehen konnte.

„Wieso bist du wieder in Thailand? Ich dachte, du unterrichtest nach diesem Religionskongress in Berlin an europäischen Unis.“

„Das hat sich anders entwickelt,“ antwortete Buddha. "Als ich zusammen mit Jesus in Berlin redete, wurden wir ausgepfiffen. Als wir eine nicht angemeldete Demo organisierten, kam die Polizei und hat uns eingesperrt. Wir teilten uns eine Zelle und es waren großartige Gespräche bei Brot und Wasser, wie in alten Zeiten.“

„Und weiter?“ 

„Was macht man mit unliebsamen Ausländern, die angeblich Unruhe stiften? Abschieben! Ich sollte nach China. Jesus wollte nach Rom und sollte nach Haifa.  Da hat er den Politikern beim letzten Abendessen den Wein in Pisse verwandelt und wir wurden nach Thailand geflogen. Jesus ist schon wieder zurück in Berlin. °Ich besuche jetzt Sulak und ein paar andere Freunde….“

„Du wirst dich ärgern über den Nippes, den Kitsch und den Pomp, den man hier mit dir treibt.“

„Jesus hat mir für alle Fälle eine Brille geschenkt, die alles Gold wegfiltert. Ich habe aber in Cha Am auch Erfreuliches gesehen. Da gibt es eine graue Statue von mir, die meine aktuelle Wahrnehmung zeigt. Klasse!“





„Du fährst ja noch weiter, ich muss raus. Meine Frau liegt im St. Mary Hospital, ich hoffe, es ist nichts Bedrohliches….“

„Grüß Luck von mir, ich wünsche ihr Glück! Wir reden noch mal auf deiner Terrasse wie früher. Ich melde mich….“



Manfred Spies, 1.7.2021