Sonntag, 31. Mai 2020

Offener Brief: Willy an Wecker

Lieber Konstantin…dein Willy! (Juni 2020)
************************************************

Lieber Konstantin!
Nun hast du jahrelang mit mir gesprochen, aber ich bin nie zu Wort gekommen. Deine klagenden Monologe hast du aufgeschrieben und öffentlich gesungen. Nicht in einem einzigen Akkord habe ich antworten können. Genug ist genug. Jetzt melde ich mich. Ich schreibe dir, weil ich nicht so gut singen kann.

Dein aktuelles Gespräch mit mir lässt du mit einem dramatischen, lauten Akkord beginnen. Ist ja okay, ein bisschen Theatralik ist publikumswirksam und die Journalisten schreiben dann von einem „Energiebündel“ auf der Bühne. Und Leidenschaft, Emotionen, Wildheit hast du ja oft gegen Rationalität gesetzt. Wir wollen uns jetzt nicht streiten, ob „mit dem Herzen Denken“ besser und richtiger ist als „nicht herzlos Denken.“ 
1977 lässt du mich sagen, „Mitlaufen ohne Denken kann nicht gut sein für eine gute Sache…“
Und in Willi IV sagst du selbst, „wäre es jetzt nicht an der Zeit, den Schrecken zum Anlass zu nehmen, mal wirklich nachzudenken?“
Buddha sagt, „Wir sind, was wir denken. Mit unseren Gedanken formen wir die Welt“, und den Satz von Descartes kennst du auch: “Ich denke, also bin ich.“ Bleiben wir dabei.

Du rufst mich immer wieder in deinen Texten als Zeugen auf die Bühne. 
Will ich das? Kann ich das? Du präsentierst mich aktuell in Willy 2020 „Willy, und grad du verstehst das sicher, hast du doch dein Leben riskiert, um Faschisten deine Meinung zu sagen.“ 
Ich soll den Faschismus in Deutschland sehen und „deine Angst“ verstehen,  denn „noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik sind die Grundrechte so umfassend und so radikal eingeschränkt worden.“ Das ist richtig. Aber nun denk einmal nach (s.o.), warum ist das so?. Machen das diese von dir pauschal beschimpften Politikmachos, Führer, Diktatoren, Lügner zusammen mit den anderen Bösewichten, weil sie herrschen oder weil sie helfen wollen? Haben sie das sich selbst ausgedacht oder folgen sie immer den Ratschlägen und Warnungen von Ärzten und Wissenschaftlern, weil es sich um eine weltweite Krankheit handelt, eine Pandemie, wie sie die Politiker, Ärzte und Wissenschaftler bisher noch nie kannten und sich nicht vorstellen konnten? Deshalb sagen sie selbst: Das einzig Genaue, das wir wissen, ist, dass wir nichts Genaues wissen. Und um die Menschen vor dem Virus zu schützen gibt es Maßnahmen. Doch dazu später.

Lieber Freund Kosta, du traust diesen neoliberalen Diktatoren „jederzeit zu, dass sie diesen Zustand der Angst und Einschränkung nur allzu gern behalten wollen. Diesen Zustand eines Staates in dem Demonstrationen verboten sind und Kultur in den tiefsten Schubladen der Bürokratie verschwindet….Für viele Herrschenden ist doch das, was zurzeit passiert, eben auch eine perfekte Übung für den dauerhaften Ausnahmezustand oder den Weg in eine Diktatur.“ 
In deinem Deutschland sind Demonstrationen verboten? Was machen die denn da jede Woche überall?
In deinem Deutschland gibt es keine Kultur, weil sie in den Schubladen der Bürokratie verschwunden ist? Aber du schreibst, komponierst, singst und bist zusammen mit anderen Kreativen massenhaft präsent, nur jetzt nicht so öffentlich wie früher, weil es Verantwortung von allen für alle und Schutzregeln gibt. Das sagst du ja selbst am Anfang von "Willy 2020"..

Konstantin, da gehe ich von deiner Bühne. Deutschland ist nicht faschistisch. Deutschland ist keine Diktatur. Deutschland ist kein Land mit einer wertlosen oder wertelosen Gesellschaft. Deine energiebündelhafte Leidenschaft in Ehren, aber wo bleibt das Nachdenkliche, wo bleibt die Abwägung und die angemessene Wortwahl. Das klingt nach Hass. Gut gemeint ist nicht immer gut geschrieben. Wenn deine Angst und deine Wut die Mütter deiner Ablehnungen sind, knalle ich dir ein paar eigene Texte auf den Tisch. Nein, ich lege sie dir ruhig hin. 
Du hast selbst geschrieben, „ Aber du bist meine Zeuge, Willy, ich hasse die Moral.“ Nein, nein, du willst gar nicht hassen. Denn später hast du sogar einen Nazi umarmt und erklärt, „Anscheinend haben wir eine Kultur, die nur versteht, wenn man Hass mit Hass beantwortet.“ (24.12.2014) Ja bitte! Dann muss dein Text etwas umgeschrieben werden.






Ich weiss, dass du ganz anders denkst und fühlst. Wir haben da, wo ich jetzt bin - weil du mich ja vor über 40 Jahren hast sterben lassen - alle deine Texte gelesen und Lieder gehört. Deswegen herrscht auch bei meinen Freunden Aufregung und Irritation. Martin kann dich noch an ehesten verstehen, Gandhi wackelt mit dem Kopf und warnt und Buddha redet immer vom Loslassen. In einem Punkt sind sich aber alle einig: Wenn du die Menschen beschuldigst, diese „neoliberale Diktatur, der sie jahrzehntelang aufgesessen sind“, völlig übersehen zu haben, hältst du sie alle für blöd. Das hat niemand verdient.

Es gibt einen anderen Satz in deinem aktuellen Gespräch mit mir, den ich dich bitte zu ändern oder zu streichen: 
„Meine persönliche Freiheit möchte ich mir selbst beschneiden und nicht von einem Herrn Söder oder Kurz oder Macron beschneiden lassen, den ich nie in meinem Leben gewählt hätte. Pfeifen wir auf das Patriarchat!“
  1. Das Patriarchat hat mit Corona nichts zu tun. Übrigens ist eine der wichtigsten politischen Figuren in der Welt - Frau Angela Merkel - eine Frau.
  2. Ob du Herrn Söder, Herrn Kurz oder Herrn Macron einmal wählen würdest, interessiert gar nicht und hat mit den Maßnahmen nichts zu tun.
  3. Wenn eine ansteckende, gefährliche, relativ unbekannte Virus-Krankheit ein ganzes Volk bedroht, hat die Regierung eine Verantwortung. Das Verhalten jedem Bürger selbst zu überlassen ist völlig inakzeptabel. Insofern reihst du dich hier leider ein in die Riege narzisstischer und egoistischer Intellektueller, die ihre Selbstverwirklichung über alles andere stellen. Gilt hier dein Satz aus „Genug ist nicht genug“ immer noch oder habe ich ihn falsch verstanden: „Doch mein Ego ist mir heilig und ihr Wohlergehen ist mir sehr egal.“
  4. Was bitte ist mit all den selbstverständlichen Regeln, die wir respektieren müssen, wenn wir nicht allein auf der einsamen Insel sind? In der Familie, in einer Gruppe, in einem Verein, in einem Volk. Willst du Ampeln und Verkehrszeichen abschaffen, Geschwindigkeits-Begrenzungen aufheben, Termine platzen lassen, Schulpflicht den Eltern und Schülern überlassen, die freie Wahl von Arbeitszeiten einführen? 
  5. Wenn deine Ablehnungen von Maßnahmen der Regierungen und der Gesundheitsbehörden wie Kopien dessen aussehen, was wir auf „Hygiene-Demos“ von Ultrarechten, Ultralinken, Verschwörungstheoretikern usw. hören,  kennzeichnt dich das nicht, denn man kann sich den Beifall nicht aussuchen. Aber nachdenklich sollte dich das schon stimmen. 
Es kann sein, dass ich durch mein neues Umfeld verändert worden bin. Kann sein, dass sich auf der Erde viel verändert hat und auch meine Messlatten sich verschoben haben. Kann auch sein, dass du mir nie richtig zugehört hast. 
Auch ich habe geträumt. Martin hatte auch einen Traum. Träume und Utopien sind ganz, ganz ganz wichtig. 
Herbert Marcuse sagte mal auf einer Veranstaltung in Düsseldorf: 
Wenn eine Utopie in einer Gesellschaft nicht verwirklicht werden kann - nicht schlimm für die Utopie, schlimm für die Gesellschaft!“

Damit sind wir bei deinen Visionen von Liebe, Menschlichkeit, Respekt, Gleichheit, Toleranz, und der Abwesenheit von Gier, Ausbeutung, Gewalt, Krieg. 
Mach weiter. Begeistere andere. Aber ich sage dir als dein Freund: 
Es muss von den Menschen kommen, sie müssen schmerzhaft fühlen und dann auch begreifen. Sie müssen es selbst entscheiden und tun. 
Wer in diesem Zusammenhang Texte schreibt, redet und Lieder singt, auf Bühnen steht, Bilder malt, tanzt und musiziert ist eigentlich unwichtig. Wichtig ist, was passiert. Insofern hat Buddha recht: Wenn die eigene Eitelkeit los gelassen wird, gewinnt die Sache.




Die Straßen sind groß genug. Wenn nicht nur wenige, sondern fast alle auf die Straßen gehen, können die von dir so benannten Machthaber und Profitgeier und Ausbeuter nicht alle erschießen. Es wird nicht einfach und nicht bequem und nicht ungefährlich  sein.

„Die Morgenröte einer neuen, besseren Zeit kommt aber nicht, wie das Morgenrot kommt, nach durchschlafener Nacht.“ (Bertolt Brecht)



In Liebe, dein Willy
1.6.2020




(Idee: Manfred Spies)











Freitag, 29. Mai 2020

Kunststadt Düsseldorf: Posse oder Politikum?

Hier mal aus der Erinnerungskiste der Plakat-Anschläge eine kleine aber amüsante Geschichte, erzählt vom Beteiligten Manfred Spies.

Im Jahr 1979 zwischen Mai (Europawahl) und September (Kommunalwahl) blieben 374 Wahlwände in Düsseldorf aus Kostenersparnis stehen. Der Antrag, einige Wände den Künstlern zu überlassen, wurde von der Düsseldorfer Verwaltung abgelehnt.

„Frechheit“ sagte ich und ging mit Hagen Drasdo u.a. Kreativen illegal auf die Wände. Viel Arbeit, Zustimmung in der Öffentlichkeit und den Medien, Wut bei der Verwaltung und bei der CDU. 



Kurz vor der Kommunalwahl schwenkte der FDP-Mann Peter Wissmann (Ordnungs-Dezernent) um und stellte den Kreativen viel mehr Wände zur Verfügung, als sie vorher gewünscht hatten. 
Mit einem Antrag wollten wir legal etwa 10 Wände. Abgelehnt.
Wir arbeiteten illegal und erhielten 20 Wände.


Ich bot sofort Kolleginnen und Kollegen die Wände für ihre Fantasien an. Der erste Anrufer war Jörg Immendorff, damals schon erfahren mit Publicity und Kommerz und später sehr berühmt.  „Ich hätte gern eine Wand an der Kö.“ Er bekam zwei.

Jörg Immendorff bei der Arbeit an der Plakatwand auf der Kö
Düsseldorf war für einige Wochen farbiger und fantasievoller, danach wurden alle Wände abgebaut. Im Normalfall werden die Plakatwände gesäubert, weiß gestrichen und kommen ins Depot. Stephan von Wiese, leitender Mitarbeiter des damaligen Kunstmuseums, später Museum Kunstplast, schätzte die beiden Arbeiten von Immendorff als sehr wertvoll ein und liess sie gesondert lagern und schützen. Als die anderen Künstler davon erfuhren, waren sie sauer über diese Ungleichbehandlung. Als Immendorff davon erfuhr, war er auch sauer. „Das waren Arbeiten für die Straße, nicht fürs Museum!“ 
Als ein Freund von großer Show wolle er sie auf der Kö verbrennen lassen. Das war natürlich Quatsch, denn städtisches Eigentum wird nicht verbrannt, auch wenn es bemalt wurde.

Nun befinden sich angeblich Bilder im Wert von Millionen seit Jahrzehnten in einem städtischen Depot und können nicht gezeigt werden. Jörg Immendorff ist seit genau 13 Jahren tot. Es ist nicht anzunehmen, dass er letzte Aussagen zu den Tafeln gemacht hat. Vielleicht sollte man seinen Galeristen Michael Werner oder Helge Aachenbach um Rat fragen. 
In meinem fernen Land des Lächelns gibt es immer wieder Anlass zum Schmunzeln, wenn ich mich an meine Geburtsstadt erinnere.

Manfred Spies
30. Mai 2020



Donnerstag, 28. Mai 2020

Kreativität auf Straßen - Linien



Auf den meisten meiner Großflächen-Plakate wurden Fragen gestellt oder auf Missstände hingewiesen. Das sollte und musste aber nicht so bleiben.

Der Hauptausschuss der Stadt Düsseldorf beschloß 1979, zwischen Mai (Europawahl) und September (Kommunalwahl) die 374 Wahlplakat-Ständer aus Kostengründen nicht ab- und wieder aufzubauen, sondern stehen zu lassen. Als Vorsitzender des Berufsverbandes Bildender Künstler in D´dorf beantragte ich, den Bildenden Künstlern, Akademiestudenten Filmern und Schriftstellern einige Wände für Arbeiten und Experimente zu überlassen. 

Der von vielen Kolleginnen und Kollegen unterschriebene Antrag (Beuys, Graubner, Droese, Polke, Immendorff, Palermo, Sieverding, Mommartz, Kirchhoff, Schroer…) wurde abgelehnt. Wir empfanden das als Affront einer Kunststadt den Künstlern gegenüber. Einige Kollegen und ich entschlossen sich zu einer illegalen aber legitimen Aktion: 
Über 150 der Großflächen wurden von uns sauber gemacht, weiß abgedeckt und bearbeitet. 
Da gab es auch kreative Arbeiten, wie man sie sonst nur in Museen sieht.
Am Luegplatz in Oberkassel klebte ich mühevoll aus schwarzen Streifen ein Linienbild, dessen Mittelteil sich täglich veränderte und damit Aufmerksamkeit erregte. Der damalige Akademiedirektor Prof. Norbert Kricke, -  ein abstrakt arbeitender Bildhauer  -  rief mich begeistert an und gratulierte.






Übrigens wurden seitens der Stadtverwaltung fast alle unsere Arbeiten zerstört oder überklebt, „da sie nicht genehmigt waren“.



Ich bin bis heute der Meinung, dass sogenannte Kunst nicht nur in die „heiligen Hallen“ gehört. Kreativität, Poesie und auch Witz und Ironie können auf den Straßen das Leben der Menschen enorm positiv beeinflussen. 


Auch die Mauern um unser Grundstück in Thailand werden für kreative Arbeiten genutzt. Thailänder und Ausländer, die keinen blassen Schimmer von abstrakter oder kinetischer Kunst haben, sind interessiert. halten an und reden.

Das Bild eines mit einem Spray „beschmierten“ Telefonkastens ("Das andere Düsseldorf", 24.5.2020 um 7.55h)  erhielt in dieser FB-Gruppe so viele Likes, wie bisher kein anderes Bild in meinem Facebook-Leben. Daraus sollten auch die Behörden lernen.

Manfred Spies
29. Mai 2020

Zertrümmertes Leben


DÜSSELDORF-ALBUM: Vor 70 Jahren!

Damals ging es uns doch gut! Niemand hat gejammert!
Keine soziale Distanz, wir konnten zusammen arbeiten.
Atemschutz wäre gut gewesen, war aber nicht wichtig, 
Wir haben zusammengegessen wie und wo wir wollten.
Wir konnten auch nachts auf der Straße sein.
Gastronomen gingen nicht pleite, hahaha, die gab es gar nicht.
Und Diesel-Krise gab es auch nicht!
Ich sehe nur Männer zwischen Bomben-Trümmern. 
Die lächeln alle im Gegensatz zu heute, wo man zwischen 
den Konsumtrümmern beim Bier hockt und meckert.






































Manfred Spies,
20.5.2020

Samstag, 23. Mai 2020

SOLIDARITÄT?

In Zeiten epidemischer Eitelkeiten, in denen Solidarität zu einem Schmuddelbegriff und Nächstenliebe zu etwas für den sozialromantischen Kindergarten verkommen sind, macht man sich lächerlich, wenn man an ein Lied(*) von vor 90 Jahren erinnert:

„…Schwarzer, Weißer, Brauner, Gelber!
Endet eure Schlächterein!
Reden erst die Völker selber
Werden sie schnell einig sein….

…Unsre Herrn, wer sie auch seien
Sehen unsre Zwietracht gern
Denn solang sie uns entzweien
Bleiben sie doch unsre Herrn….“

In meinem Archiv habe ich etwas SENSATIONELLES gefunden. Gemeinsamkeit und Solidarität schienen also überall in Deutschland möglich zu sein. 
Gibt es solche verschämt versteckten Dokumente auch in Düsseldorf?

Bemerkenswert: Nach dem Krieg wollte man gemeinsam stark sein und lud gemeinsam zu Veranstaltungen gegen Nazis ein: SPD, CDU. FDP, KPD, VVN und Gewerkschaften.






Manfred Spies, Mai 2020


(*) Solidaritätslied von Bert Brecht, vertont von Hanns Eisler, etwa 1930. heutige Fassung (s.o.) von 1947

Donnerstag, 21. Mai 2020

Jeder für sich... (Teil 2)

Jeder für sich und alle gegen alle?

Muss ich meine Individualität auf dem Rücken anderer entwickeln? 
Haben meine persönliche Entwicklung und Profilierung automatisch die Abgrenzung zu anderen und damit meine Einsamkeit zur Folge?
Ist eine hingebungsvolle Liebe vereinbar mit meinem Wunsch nach Autonomie und Selbstverwirklichung?
Wie kann ich ganz ich selbst sein, ohne dabei einsam zu werden?


In Asien bedeutet dieses Handzeichen "Ich liebe dich."

Berechtigte Fragen, die sich aber in Zeiten des Egoismus und Konsumismus keiner ernsthaft stellt. Man muss kein 68er sein mit der Parole "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment", um heute genau so rücksichtslos zu leben. 
Den abgewandelten Trump-Slogan "Me first!" lebt doch heute fast Jede und Jeder. Wenn Liebe zwar dauernd gewünscht wird, aber keiner richtig weiss, was das ist, gleicht man Defizite aus mit Kitsch, Schnulzen, TV-Soaps, Konsum und Fressen. 
Selbstverständlich ist das Übergewicht der Menschen zurück zu führen auf ein Untergewicht an Zuwendung und emotionaler Befriedigung. Aber wenn man nicht darüber nachdenkt, dass Liebe vor allem mit Geben zu tun hat und nicht mit Nehmen, dass Liebe im Duden definiert wird als "tiefes, inniges Gefühl von Zuneigung" (vier wunderbare Worte), dann erkennt man gar nicht nicht, was einem fehlt. Der Dumme ist glücklich. Und der Oberflächliche ist bequem. Und der egoistische will nicht zweimal mit Derselben pennen.


Plakat 1979, Düsseldorf, Luegplatz


All das wird natürlich in unserer digitalisierten Gesellschaft potenziert. In einer Konsumgesellschaft sind „Objektbeziehungen“ oder Singles heute schon der Regelfall. Und die Alten werden von Robotern gepflegt und Kinder haben mit drei Jahren ein Handy, mit dem sie beim Scrollen jede Fantasie und Kreativität abtöten. 

Als ich 1979 sehr persönliche Botschaften auf die weißen Wände sprühte, hatte ich vorher zunehmend Kälte und den Verlust von Menschlichkeit erlebt.
Damit war ich nicht allein. Viele der „anonymen Spayer“ nutzen die von mir weiß abgedeckten Plakate nachts zu einigen Aktivitäten. Das nahm ich ihnen nicht übel, weil es ebenso wie meine Arbeiten menschlichen Charakter hatte. Aber weder ich noch die Anonymen ahnten etwas von dieser schönen, neuen Welt, die uns damals bevorstand.




Damals wurde mir erzählt, dass Menschen auf der Straße weinten, als sie „Wann warst du das letzte Mal richtig glücklich?“ auf dem Plakat sahen. 
Vierzig Jahre Später habe ich die Arbeiten unter Berücksichtigung des asozialen Gebrauchs der sozialen Netzwerke aktualisiert.  Ob sie heute Jemanden zum Nachdenken bringen oder erschüttern, wage ich zu bezweifeln. 

1979

2019






Das Sein bestimmt das Bewustsein? (Karl Marx)

Damas wurden wir geprägt von einer konsumierenden Umwelt.
Heute werden wir bestimmt von einer digitalen Umwelt, die uns sogar unsere Sinne und unser Sinnlichkeit amputiert: 
  • Wir betrachten großartige Bilder in Kleinformaten, erkennen keine Details oder haben dazu „gar keinen Bock“. 
  • Wir hören die Celli am Anfang des letzten Satzes der 9. Symphonie von Beethoven und den brandenden Chor am Ende über winzige, plärrende Leisesprecher.
  • Wir essen und trinken im Stehen oder Gehen aus Plastikschal und -Bechern und Scollen nebenbei auf dem Smartphone.
  • Wir diskutieren in knappen, gestotterten Sätzen auf Facebook über Artikel, von denn wir nur die Überschriften gelesen haben.
  • Wir gehen mit wechselnden Partnern ins Bett, von denen wir nichts wissen und nichts wissen wollen. Die Herstellung und die Geschichte unserer neuen Schuhe oder eines Kleidungsstücks interessieren uns ja auch nicht.

Wenn wir emotionale Defizite spüren, werden diese natürlich verdrängt. Damit sind wir wieder bei der Vereinsamung und bei der dadurch ausgelösten Frustration. Und Frustration schafft Aggression, und die ist nun wirklich aktuell. Aber das ist ein neues Thema…



Wilailuck Lakkhamphan und Manfred Spies
Donnerstag, 21. Mai 2020


Mittwoch, 20. Mai 2020

Monster Einsamkeit (Teil 1)



Meine Plakate von 1979 waren eine Reaktion auf die von mir erlebte Umwelt und Berichte in den Medien. Mich interessierten immer Themen, die mit Menschen zu tun hatten und oft ausgeblendet wurden.


Wohin hatte sich die aufgeklärte Gesellschaft in Deutschland in den folgenden 40 Jahren entwickelt?



Düsseldorf, Linie 707 Richtung Hauptbahnhof. Das jugendliche Paar mir gegenüber tippt unentwegt in Handys. Das Mädchen stoppt die Tipperei und schaut aus dem Fenster. Unwillig fragt sie der Junge, „Warum antwortest du mir nicht.?“



Ist das die Kommunikation zwischen Liebenden in digitalen Zeiten? Ersetzen Messengers, Posts, Likes, und Scrollen das miteinander Reden, sich Berühren, begeistertes Erzählen und das sich dabei Ansehen? 
Wenn ja,  würde das nicht nur soziale Beziehungen gefährden, sondern auch den Verlust von Sprache bedeuten.




Wenn sich bereits junge Menschen selbst der Sprache berauben - dem wichtigsten Kommunikationsmittel seit es entwickelte Menschen gibt - wird es in Zukunft nicht nur eine altersbedingte Vereinsamung geben. 
Ich kenne Jugendliche und Vierzigjährige, bei denen das digitale Gerät festgewachsen zu sein scheint. Mit zunehmender Zivilisation verblödet die Menschheit nicht nur, sie vereinsamt auch.






Die Frage ist, nutzen wir die digitalen Möglichkeiten zu unserer Zufriedenheit und um mehr Miteinander zu ermöglichen, oder hatten Wissenschaftler schon vor Jahrzehnten recht, wenn sie das Gegenteil vermuteten (weitere Fragen und Antworten im 2. Teil).





Wilailuck Lakkhamphan und Manfred Spies
Donnerstag, 21.mai 2020

Donnerstag, 14. Mai 2020

Manfred Spies - Ruhestörer



Fazit von Manfred Spies:
"Das Stadtmuseum schrieb mit zwei Tag nach dem RP-Artikel, dass ich die von mir benötigten Archivteile ausleihen kann. Das ist wunderbar. Für mich etwas störend bleibt der Eindruck, dass es ohne den medialen Druck nicht so schnell und so gut geklappt hätte. 
Es passt mir nicht, schon wieder in der Rolle eines möglichen Störenfrieds zu sein. Welchen Frieden störe ich, wenn ich nur höflich auf meinen Rechten bestehe?"

**************************************************


Manfred Spies war schon immer ein Querdenker, der gerne aneckt und sich viele Feinde gemacht hat. Als Plakatkünstler provozierte er bewusst, wetterte gegen Kirche und Kunstmarkt, Ausländerfeindlichkeit und die Einschränkung von Meinungsfreiheit. 





Nach über 100 Zensurmaßnahmen fragt sich der Künstler bis heute, "Warum beschäftigen meine friedlichen Gedanken immer wieder die Polizei und Ordnungsorgane?"

Nach Mölln, Solingen usw.

Zur Zeit der Brandanschläge auf Ausländer-Wohnungen und Asylheime machte Spies eine deutsche Fahne mit Brandstellen in Form eines Hakenkreuzes. Die Polizei kam und kippte das Plakat um. Ein Staatsanwalt Dr. Ernst ermittelte. Spies schrieb: "Sehr geehrter Herr Dr. Ernst, das ist nicht Ihr Ernst! Karneval und der 1.April sind vorbei..." Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.


Diverse Ermittlungsverfahren und Prozesse (15) wurden gegen ihn angestrebt, er überstand alles schadlos. 1982 gründete Spies die Szenekneipe Tannenbaum an der Tannenstraße in Derendorf. Sie wurde schnell zu einem Ort für Kultur und Kommunikation, für Lesungen, Konzerte und Filmvorführungen. Prominente wie Klaus Staeck stellten im Tannenbaum aus, Dieter Nuhr, Volker Pispers, Jürgen Prochnow, Joseph Beuys und viele andere waren Gäste. An den Kneipen-Wänden hingen Originale von Beuys, Richter, Polke und Uecker. Und nicht zu vergessen die Wand und die Tafeln am Tresen, auf der Spies selbst seine „Denkanschläge“ hinterließ, „weil meine angemieteten Großflächenplakate dauernd zensiert wurden“, wie er rückblickend sagt. 

Selbst ein so gut gemeintes Plakat wurde von der Stadtverwaltung überklebt. Deshalb hatte Spies in seinem Lokal ein Plakatwand, auf der ihn niemand zensieren konnte.


Spies, inzwischen 79 Jahre alt, verkaufte die Kneipe 1998, lebt mittlerweile in Thailand, wo er fleißig in Blogs schreibt und sich einmischt aktuell ebenso schonungslos wie früher die Versäumnisse bei Corona in dem Land anprangert. 



In zwei Jahren, zum 40-Jährigen des Tannenbaums, möchte er eine große Dokumentation über die Kult-Kneipe erstellen. 
1982, lange leer stehendes Objekt an der Tannenstraße..
...wurde ab 15.April 1982 zum Treffpunkt von Kultur, Medien und Normalos.

Das gesamte Archiv mit Dokumenten, Fotos und Negativen schenkte Spies, verpackt in vier Umzugskartons, 2010 dem Stadtmuseum. Direktorin Susanne Anna bedankte sich in einem Schreiben, das Archiv bereichere und erweitere den Museumsbestand eminent. 


„Dort versprach man, alles so schnell wie möglich zu digitalisieren und zu archivieren. Das ist bis heute nicht geschehen, man weiß nicht einmal, wo die Kartons lagern“, sagte Spies Mitte April. Er mache sich vor allem Sorgen um die Farbnegative, die mit den Jahren bei unsachgemäßer Lagerung enorm an Qualität verlieren würden. 
Kurz darauf meldete sich ein Mitarbeiter des Stadtmuseums bei Spies und schlug ihm vor, einige sei- ner Fotos 2022 im „Geburtstagszimmer“ des Stadtmuseums zu zeigen. Doch der ausgewanderte Künstler ist wenig geneigt, darauf einzugehen. „Damals habe ich meine Denkanschläge hinter Stacheldraht im Stadtmuseum gezeigt. Das waren noch Zeiten!“ Eine noch sehr viel größere Ausstellung mit mehreren Düsseldorfer Künstlern in der Kunsthalle habe zu dieser Zeit sogar mehr als 26.000 Menschen angezogen. „Es war einer der größten Kunstskandale in Düsseldorf, da zwei CDU-Ratsherren wegen meines Objektes die politische Kripo geholt hatten.“ 
Insgesamt gesehen will Spies aber nicht viel Aufhebens um seine Person machen, es gehe ihm um die Dokumente, die Erinnerungen. Und er nennt ein Beispiel: „Als ich im Tannenbaum ein Fest veranstaltete, zu dem das Tragen irgendeiner Kopfbedeckung Bedingung war, kam Peter Thoms, der Schlagzeuger von Helge Schneider und ein Freund von mir, mit einem aufgetrennten und über den Kopf gestülpten Vogelkäfig, in den er einen kleinen Ventilator montiert hatte. Durch die Klappe des Käfigs trank er sein Bier. An solchen Verrücktheiten bin ich interessiet, nicht an einer Hängung in einem Geburtstagszimmer.“ 
Seine Idee ist es, die vier Umzugskartons in Düsseldorf in Empfang zu nehmen und entweder nach Thailand zu bringen oder in Düsseldorf zu bearbeiten – „auch wenn das ein halbes Jahr beanspruchen würde. Es soll eine Dokumentation entstehen, vielleicht als eBook. An einer Ausstellung im Stadtmuseum, die ich auch noch selbst bezahlen soll, bin ich jedenfalls nicht interessiert. Das wäre der Sache nicht angemessen“, stellt Spies klar. In seinem Archiv gebe es so viele Bilder von Festen, Veranstaltungen, die mit Texten, Anekdoten, Ärgernissen versehen werden müssten. „So war es damals Normalität, gerade bei den Ordnungsbehörden, dass man Genehmigungen nur gegen Zuwen- dungen bekam. Das habe ich fast als einziger Gastronom nicht akzeptiert. Einmal habe ich Leute vom Gesundheitsamt rausgeschmissen, mich beim Behördenleiter inklusive Zeugenaussagen beschwert. Die Leute wurden dann nach Garath versetzt“, erzählt Spies. So etwas zu erzählen, gehe nur in Buchform. 
Aus Sicht der Stadt stellt sich die Sachlage ein wenig anders dar. „Der Bestand der Schenkung wurde im Stadtmuseum fachgerecht magaziniert und befindet sich seither in der Sammlung des Museums“, teilt eine Sprecherin der Stadt mit. Vor einigen Jahren sei auch mit der Aufarbeitung der Exponate von Manfred Spies begonnen worden. So seien zum Beispiel 180 Fotos digitalisiert worden. „Eine konkrete, mit der Schenkung verbundene Vereinbarung, die gesamten Negative zu digitalisieren, was mit einem hohen personellen und finanziellen Aufwand verbunden wäre, besteht jedoch nicht“, sagt die Sprecherin. 
Die Anfrage von Spies bezüglich des Bestandes sei beim Stadtmuseum eingegangen und von diesem beantwortet worden. „Hierin wird Herrn Spies anlässlich des Jubiläums des Tannenbaums in zwei Jahren eine Ausstellung im Stadtmuseum vorgeschlagen. Im Rahmen dieser Ausstellung könnten weitere einzelne Exponate digitalisiert werden“, so die Stadtsprecherin. Darüber hinaus habe das Stadtmuseum Spies eingeladen, sich persönlich im Stadtmuseum ein Bild vom ordnungsgemäßen Zustand seiner Schenkung zu machen....Fortsetzung folgt – ganz bestimmt. (Marc Ingel)

(Der RP-Artikel enthielt etwas andere und viel weniger Fotos. Ergänzt wurde am 14.Mai 2020)