Heute ist Sonntag. Ein guter Tag?
Man wird sehen. Nach den Behandlungen an den Knien steige ich zum ersten Mal seit Monaten wieder aufs Rad. Eigentlich wollte ich nur bis zu unserem Haustempel. Aber es ging alles gut und ich landete in einem abgelegenen Dorf.
Eine alte Frau mit einem Säckchen auf dem Rücken kam mir entgegen. Ich kannte sie. Es war Charlie auf ihrem keinen, großen Spaziergang.
Als sie mich sah, stellte sie sich mit ausgebreiteten Armen vor mich hin und fragte grinsend, „Would you like to make a photo?“ Wir setzten uns auf eine Stufe und plauderten wie immer.
Charlie heisst eigentlich Kung. In Thailand kann man den Namen wechseln, wenn man einen anderen schöner oder passender findet. Charlie spricht fließend englisch und zählte Charles Bukowski und Oscar Wilde zu ihren ihren Lieblingen. Also die wilde Charlie.
Die Eltern waren zu Lebzeiten beide bekannte Filmstars. Sie hatten schwere Differenzen mit den Söhnen, die zwar als Mediziner und Rechtsanwälte in Bangkok sehr erfolgreich waren, aber deren kulturelle und finanzielle Interessen sich umgelegt proportional entwickelten.
Die studierte Anglistin und Kunstwissenschaftlerin Kung erbte alles. Natürlich waren Aufenthalte in London, Paris, Marokko, Nepal und Goa nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. Sie saß auch mehrmals in wenig komfortablen Räumen, weil sie Berauschendes zu sich genommen und schon mal nackt am Strand getanzt hatte. Angeblich war ihr ganzen Leben ein Rausch und sie erinnerte sich lächelnd an „etwa“ 200 Liebhaber. „Aber richtige Lover, keine One-Night-Typen.“
Seit vielen Jahren lebt Charlie in einem großen Bauwagen. Der steht weit außerhalb der Ortschaft, weil sich die Nachbarn über ihre HIFI-Anlage für 70.000,- Baht beschwert hatten. Es ging nicht nur um die Lautstärke. Aber Charlie Mingus, Charlie Parker, Jimi Hendrix sowie Bruce Springsteen, die Beatles mit „A Day in the Life“ und die Rolling Stones gehören nicht zu den akustischen Leckerbissen thailändischer Dorfbewohner.
Einmal schickte Charlie dem mit ihr verfeindeten Bürgermeister eine CD der Rolling Stones mit passenden Songs. Die Polizei holte sie zur Vernehmung. Abends krachte ein riesiger Felsblock auf die am Hang gelegene Villa ihres Verfolgers. Sie hatte ein Alibi.
Charlie Pha ist erkrankt. Sie hat Schmerzen und lacht: „Jetzt kann ich meine Joints auf Rezept bekommen.“
Ich unterhalte mich gern im Dorf. Es war ein guter Tag.
Manfred Spies, 24.Februar 2019
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