Der König, sein Koch und die Frau aus dem Wald
Kapitel 1: Hunger im Wald
Dies ist ein aktuelles Märchen über einen König in Thailand. Damit aber keine Verwechslungen entstehen schreibe ich nicht „Es begab sich, dass der König allein mit seinen Rad unterwegs war…“ sondern lasse den Märchenkönig ein Pferd benutzen.
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Es begab sich, dass der Thai-König allein mit seinem Pferd unterwegs war. Er war ein stiller Mann, der gern nur für sich war, um in Ruhe nachdenken zu können. So ritt er an diesem warmen Tag stundenlang durch den Wald. Er achtete nicht auf Pfade und Wege und auch nicht auf die Sonne und die Zeit. Der Wald wurde dichter, Äste hingen herunter und verletzten den König an Stirn und Gesicht. An einem Bach stieg er ab, wusch sich Hände und Gesicht und sein Pferd trank mehrmals.
Der stille König setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm und dachte nach. Warum waren so viele Menschen in seinem Land unglücklich? Zwar lächelten sie den ganzen Tag, weil sein Land das „Land des Lächelns“ genannt wurde. Aber die Frauen und Männer in seinem lächelnden Land stürzen sich aus hoch gelegenen Wohn- oder Hotelzimmern, schossen sich Kugeln in die Köpfe, schnitten sich Adern auf, wurden im Wäldern an Bäumen aufgehängt gefunden oder nahmen Gift. Seine mit den besten Militärs besetzte Regierung beobachtete, kontrollierte und bestrafte, aber die Drogenkartelle und die unterschiedlichen Finanz-, Waffen-, Immobilien-, Tourismus- und Rohstoffclans machten unbeeindruckt von Scheingesetzen ihre Geschäfte.
Wo lag der Chili in der Nudelsuppe oder - wie der König bei seinem Studium in Deutschland gelernt hatte - wo lag der Hase im Pfeffer?
Es war kein Feigenbaum, unter dem er saß und es kam keine Erkenntnis. Aber Hunger plagte den König, denn er war schon lange unterwegs.
Er stand auf, bestieg sein Pferd und suchte ein Gasthaus. Nichts fand er. Umher irrend bedauerte er ein wenig, sein goldenes Handy im Palast gelassen zu haben. Aber er hasste dieses dauernde Gepiepe und die Klingeltöne, die seine ersehnte Ruhe störten.
Der König fand einen Weg und kam an ein einsam stehendes Haus, umgeben von einem kleinen Feld und vielen Obstbäumen. Ein großer, schwarzer Hund kam ihm schwanzwedelnd entgegen und eine alte Frau trat aus der Türe und wischte sich die Hände an der Schürze ab.
„Guten Tag, gute Frau,“ sagte der König, „ich habe mich verirrt und bin hungrig. Haben Sie etwas für mich?“
„Komm rein, junger Mann“, sagte die Frau, „zuerst bekommen Sie mal einen Obstsaft. Sie sind ja ganz wackelig auf den Beinen.“
Beide gingen ins Haus, der Hund blieb draussen.
Küche und Wohnraum waren einfach eingerichtet, aber aufgeräumt und sauber. Der König setzte sich auf einen alten Stuhl mit geschnitzter Rückenlehne an den blank gescheuerten Tisch und die Frau schenkte ihm ein großes Glas kalten Saftes ein. Dann ging sie an den Herd, auf dem ein großer Topf stand und rührte darin herum. Aus einem Schrank nahm sie zwei tiefe Teller, Bestecke, faltete Papier von einer Rolle und legte alles auf den Tisch.
„Das ist keine Thai-Suppe“ sagte sie etwas verlegen. „Ich habe manchmal genug von dem Thai-Essen und koche mir etwas Fantasievolles mit Zutaten aus meiner Heimat.“
Der König hatte schon gesehen, dass sie keine Thailänderin aber auch keine Europäerin war. „Wo ist Ihre Heimat?“
„Ich komme aus Costa Rica. Mein thailändischer Mann hat da viele Jahre in den riesigen Naturschutzgebieten als Biologe und Entomologe gearbeitet, bis wir nach Thailand zurück kamen und er hier im Naturpark als Aufseher und Forscher für die Regierung tätig war.
„Ist Costa Rica ein schönes Land?“
Die alte Frau strahlte. „Ja, wir sind ein Land mit glücklichen Menschen, weil wir eine menschliche Regierung haben. Die Regierungen haben 1949 nach ununterbrochenen Kriegen mit den Nachbarn das Militär abgeschafft. Einen teuren König haben wir sowieso nicht. Das ganze Geld wurde in Bildung und Naturschutz gesteckt.
Thailand und Costa Rica haben Gemeinsamkeiten.
- Beide Länder haben viel Wald und Natur.
- Beide Länder haben im Westen und im Osten ein Meer.
- Beide Länder haben eine Staatsreligion, der über 80% der Bevölkerung angehören.
Aber es gibt große Unterschiede. In Costa Rica glauben die Menschen an Gott, aber sie vertrauen mehr dem Wissen. In Costa Rica wird sehr viel Geld in den Naturschutz gesteckt. In Costa Rica gibt es keine Generäle, kein militärisches Material, was ja unglaublich viel Geld kostet, und wir haben auch keinen König.
Es ist verrückt: Die Flaggen von Thailand und Costa Rica sind fast gleich. Aber das Rot für Bevölkerung und Staat in Thailand ist nur halb so groß wie das Blau für Monarchie. Das Rot steht bei uns in der Mitte und ist doppelt so groß wie das Blau für die beiden riesigen Ozeane. Die Menschen sind in Costa Rica das Wichtigste.“
Thai-Flagge: Rot=Volk, Staat, Weiss=Buddhismus, Blau=Monarchie |
Costa Rica=Flagge: Blau=beide Ozeane, Weiss=Lateinamerika, Rot=Volk |
Die Frau bemerkte beim Reden und Rühren der Suppe, dass der Fremde etwas verschlossen wirkte. Er fragte ablenkend
„Wo ist dein Mann?“
„Er wurde vor drei Jahren von Wilderern erschossen.“
Mehr sagte sie nicht. Sie erzählte nicht, dass ihr Mann bei einem Kontrollgang die drei Jeeps gesehen und sich die Nummern notiert hatte. Als er Schüsse hörte, nahm er das Gewehr von der Schulter und rief in den Wald. Kurz danach trafen ihn die fünf Kugeln. Sie erzählte auch nicht, dass sie den Zettel mit den Autonummern gefunden und Anzeige erstattet hatte. In den Zeitungen stand, es seien Regierungsbeamte gewesen, die im Naturschutzgebiet Fotos und Aufzeichnungen machen wollten und von dem Rancher bedroht wurden. Von dem erschossenen jungen Elefanten und den großen, toten Vögeln stand in den Zeitungen nichts. Sie schwieg. Warum sollte sie dem Fremden ihr Leid klagen.
Die Suppe kam auf den Tisch, der König trank dazu kühles Wasser und aß zweimal. Die alte Frau beobachtete lächelnd, wie der Fremde sich vor jedem Schluck aus dem Glas mit dem Papier den Mund wischte.
Zurückgelehnt sagte der König: „Das war die leckerste Suppe, die ich jemals gegessen habe. Können Sie mir das Rezept aufschreiben?“ Die alte Frau lachte. „Die können Sie zuhause schwer nachkochen. Ich kann ihrer Frau ein paar der Waldkräuter mitgeben und Gewürze aus Costa Rica und ein Gläschen von dem geriebenen Käse.“
„Meine Frau kocht nicht. Wir haben ein paar Köche. Ich bin der König von Thailand.“
Der Frau fielen fast die leeren Teller aus der Hand, die sie abräumen wollte.
Der König lachte: „Nun kriegen Sie sich mal wieder ein. Ich bin nicht gefährlich. Ich habe zwar eine Armee und mehr Generäle als China und die USA zusammen, aber wir sind ein friedliches und glückliches Land.“ Er spürte bei seinen Worten einen Kloß im Hals und ein merkwürdiges Gefühl im Bauch und dachte an die vielen Selbsttötungen. Und er hatte die Frau lange betrachtet und selten ein so ausgeglichenes, friedliches und zufriedenes Gesicht gesehen. Er musste schlucken als er überlegte, so einen Menschen niemals an einem Baum aufgehängt oder vergiftet zu finden.
Die Frau gab ihm einen kleinen Beutel mit den Suppen-Zutaten und dem notierten Rezept. Sie verbeugte sich tief und sagte, „Bittesehr, mein König.“ Da lachte der König und tat etwas, das er noch nie in seinem Leben gemacht hatte. Er hob die Hände der Frau und umarmte sie.
„Ich lasse Ihnen hier etwas Geld für Ihre Gastfreundschaft und Hilfe. Ohne Sie wäre der König von Thailand verhungert“. Beide lachten herzlich über seinen Scherz und umarmten sich noch einmal.
„Wenn ich hier weiter reite, komme ich dann an eine Straße?“
„Geradeaus und zweimal links. Ich fahre mit dem Moped vor Ihnen her.“
„Links kann ich mir merken. An der linken Hand habe ich den großen Ring von meinem Vater.“
Der König stieg auf sein Pferd, das auch getrunken und gefressen hatte. Der schwarze Hund leckte noch einmal die königliche Hand. Die Frau löste den Einkaufskarren vom Moped und startete. Nach einigen Minuten kamen sie an eine asphaltierte Straße. Auf ihr Winken hielt ein großer LKW. Der Fahrer erkannte seinen Monarchen und fiel auf den Boden vor Ehrerbietung. Nach vielen Wais und Verbeugungen öffnete er am LKW eine Klappe und zog einen langen Einstieg heraus. Das Pferd kletterte hinein und legte sich sofort auf die Ladefläche. König und Frau verabschiedeten sich herzlich und die Männer stiegen ins Fahrerhaus. Der Fahrer tippte etwas in ein schwarzes Gerät.
„Was machen Sie da,“ fragte der Thai-König.
„Ich gebe die Koordinaten in das Navi ein, damit wir wissen, wo die Ausländerin wohnt. Vielleicht hat sie meinen König beklaut oder seiner Majestät etwas getan.“ Der König nahm ihm den Zettel weg und steckte ihn ein.
Der König sagte nichts, er dachte nach. Er saß nicht unter einem Feigenbaum, er saß in einem LKW, aber er erkannte etwas.
Am Palast angekommen wurde der LKW sofort von Soldaten mit erhobenen MGs umstellt und man nahm den Fahrer fest. Der König protestierte und sagte: „Das ist ein guter Mann. Er hat mir geholfen.“
Der herbei geeilte Leiter der Militärgruppe kniete vor dem König nieder und erklärte: „Meine Majestät, das müssen wir prüfen.“
Der stille König dachte nicht mehr nach. Er sagte „Wegtreten! Lassen Sie den Mann in Ruhe und geben Sie ihm sofort 10.000,- Baht. Er ist einen weiten Umweg gefahren.“
Für den nächsten Tag ordnete er eine Konferenz an mit den Generälen für innere Sicherheit, für Land- und Forstwirtschaft, für Aussenpolitik, für Soziale Entwicklung und Schutz der Bevölkerung.
Seinen Köchen übergab der den Beutel der Frau im Wald und erwartete ein Suppen-Essen zusammen mit seiner Frau zu ihrem Geburtstag.
Kapitel 2 folgt.
Manfred Spies,
Sonntag, 21. Juli 2019
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