Mittwoch, 21. Oktober 2020

WAS IST LOS IN THAILAND?

Ich habe in der relativ kurzen Zeit, in der ich in Thailand lebe, zwei Putscherlebnisse gehabt. 


Seit 1932 wurde 22mal erfolgreich oder erfolglos versucht, die Regierungen zu stürzen. In der in Thailand historisch bedingten Art der Unterdrückung, Bevormundung und allgemeinen Repression konnte sich ein demokratisches Bewusstsein bis heute nicht durchgängig entwickeln. Aber es tut sich ´was.


Was ist heute los in Thailand?

In Thailand soll angeblich dauernd gelächelt werden. Das ist zumindest in der Realität seit dem 22.5.2014 eingeschränkt oder vorbei.

Seit 1932 mit einem Militärputsch die konstitutionelle Monarchie eingeführt wurde, hatte Thailand den unschönen Rekord von 21 weiteren Putschs oder Putschversuchen. 


Deutschlandfunk, Holger Senkel, 9.6.2016: 

Es gab viele Militärdiktaturen in Thailand in den vergangenen Jahrzehnten, aber diese aktuelle, das muss man sagen, ist wirklich die rigideste und wirklich die schlimmste…


Die Verhältnisse sind für Mitteleuropäer undenkbar:

Amnesty International berichtet in seinem Report 2017, dass Folter und andere Misshandlungen weiterhin verbreitet seien. Politiker, Landrechtsaktivisten und Menschenrechtsverteidiger sind mit Verfolgung, Inhaftierung, Schikanen und physischer Gewalt konfrontiert. Militärangehörigen ist es erlaubt, Personen wegen eines breiten Spektrums von Straftaten ohne gerichtliche Genehmigung festzunehmen. Zahlreiche Personen wurden wegen Majestätsbeleidigung angeklagt und zu Gefängnisstrafen von bis zu 60 Jahren verurteilt.

Etwa 2700 zum Tode Verurteilte warten auf ihre Hinrichtungen.


Bei der Rangliste der Pressefreiheit 2018, welche von Reporter ohne Grenzen herausgegeben wird, belegte Thailand Platz 140 von 180 Ländern.




Diese Liste könnte ich auch aufgrund eigener Erfahrungen fortsetzen. Im September 2015 antwortete ich auf einen Zeitungsartikel, in dem nach der „Rückkehr zur Demokratie in Thailand“ gefragt wurde:

„Wo lebt denn jemand, der solche Fragen stellt? Wann hatte denn Thailand eine Demokratie, die als solche zu bezeichnen war und zu der es zurück kehren könnte? Es gab eine kurze Zeit nach 1997 mit einer Verfassung, die so demokratisch war, dass sie in Südostasien und auch weltweit Aufsehen erregte. Die musste 2006 natürlich mit Militärgewalt wieder weg und man hatte wieder die alten Zeiten, die auch jetzt die neuen Zeiten sein sollen. Demokratische Grundrechte kennen die Thais gar nicht, zur Wahrnehmung ihrer Rechte sind sie weder erzogen worden noch fähig gemacht. Solange die meisten Thais Demonstrationen und Proteste für schädlich und gegen alle Traditionen halten, solange Fragen stellen - auch in der Schule - unhöflich und unangebracht ist, (das erklärte mir sogar damals meine Frau: Der Gefragte könne ja nicht Bescheid wissen und verliert sein Gesicht!) solange Frauen, ohne deren Arbeit in allen Fabriken, Banken, Shops und Garküchen das Land innerhalb von Minuten kollabieren würde, unterdrückt, erpresst, von ihren Ehemännern lachend betrogen und verprügelt werden können und sich nicht mit einem Generalstreik (*) wehren, wird es auch nicht den Anschein einer Demokratie in Thailand geben. Was auf dem Papier steht und über die Politik in Thailand behauptet wird, ist Schönfärberei.“ 



Das war 2015, da haben in Umfragen tatsächlich die meisten Thailänder*innen Demonstrationen für schädlich gehalten, Aber auch prügelnde Ehemänner wurden von vielen Frauen in Schutz genommen: “Vielleicht haben die Frauen einen Fehler gemacht.“  An der Tatsache, dass Männer Zweit- und Drittfrauen haben können und der Mann seine Frau und Kinder verlassen kann, ohne Alimente zu zahlen, hat sich bis heute nichts geändert. 


Zwar bekamen die Frauen gleichzeitig mit den Männern 1932 das aktive Wahlrecht, Aber Frauen durften bei lokalen Wahlen, in denen die Dorfoberhäupter bestimmt wurden, nicht kandidieren. Das änderte sich erst 50 Jahre später. Die Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Frauen in Thailand ist auch immer noch im Buddhismus spürbar.

Wenn Mädchen heute Umfragen zufolge Kondome ablehnen, weil die Knaben sie sonst für „zu fortschrittlich“ halten würden, spricht auch dieses Faktum über den Zustand des Landes Bände. 



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(*) Deutschland? Wir haben damals mit einer halben Million in der Bonn Rheinaue gestanden und nichts erreicht. Bei uns stand typischerweise die Kultur im Vordergrund und nicht die Straße und das Lahmlegen eines Stadtlebens. Deshalb habe ich gelernt und schon vor Jahres gesagt, mit einem Generalstreik ist jede Regierung machtlos. 

Aber das hat es ja auch in Deutschland nur nach dem 1. Weltkrieg gegeben gegeben. Am 9. November 1918 wurde in Berlin der Generalstreik ausgerufen. Noch am gleichen Tag dankt der Kaiser ab.

Am 12. März 1920 beteiligten sich 12 Millionen Menschen an dem Protest gegen einen rechten Putschversuch. Heute ist wie in Deutschland auch den meisten Ländern ein Generalstreik verfassungsmäßig verboten.

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Zurück zu Thailand. Die Thailänder*innen hatten vor der Militärregierung auch Massendemonstrationen der gewaltsamen Art. Ich erinnere mich an unüberbrückbare Auseinandersetzungen von Gelbhemden / Regierungsgegner und Rothemden / Regierungsfreunde, die in Schlägereien und Schießereien ausarteten. 


Hauptverantwortlich mit einer nie da gewesenen Hetze und Aufwieglung war der Gelbhemden-Anführer SUTHEP. Er vertrat die Eliten und rief auf zu einem Wahlboykott. Alternative: Die "ungebildete Landbevölkerung" hat nur eine Stimme, die Bangkok-Eliten und Gruppen aus der südlichen Heimat Sutheps (Ko Samui, Phuket und Umgebungen) haben drei Stimmen. 




Wenn man sich die für Geld heran gekarrten Demonstrations-"Eliten" von Suthep ansah, konnte man das Grausen bekommen. Es ist schon verständlich, dass diese gewaltgeschwängerte Situation vom Militär nicht länger hingenommen werden wollte.









Manches nahm groteske Züge an, wenn sich Abgeordnete prügelten, den Stuhl des Präsidenten klauten, damit er nicht sitzen konnte und TV-Diskutanten sich würgten und später vor der Presse erklärten, "Ich wollte seinen Puls fühlen.





Verglichen mit den heutigen Demonstrationen glaubt man sich in einem anderen Land.



Heute geht es um demokratische Rechte, um Meinungsfreiheit, keine Korruption, bessere Bildung und um weniger Druck auf die ganze Bevölkerung. Es geht nicht mehr um den Krach und Kampf zwischen einzelnen Universitäten, momentan nicht mehr um Rechts gegen Links und Rot gegen Gelb. Der Gegner ist eine Militärregierung und eine ultrakonservative Oberschicht, die ihre Privilegien sichern will. Auf der anderen Seite steht ein ganzes Volk, das sich nicht mehr wie bisher unterdrücken lassen will. Und die Menschen haben Mut.



Was viele Politologen und Kenner politischer Entwicklungen immer voraussagten: 

Unterdrückung eines ganzen Volkes geht nicht unendlich lange. In Thailand gehen auch Kinder der Landbevölkerung auf Schulen und es gibt das Internet. Man bekommt Informationen und kann sich austauschen. Wenn diese riesige Masse des Volkes sich von einer Elite dominiert fühlt, wenn sie über Korruption in der Regierung und im Militär Bescheid wissen und solchen Machenschaften selbst im Dorf oder der eignen Familie kritisch gegenüber stehen, wird die Macht der Unterdrücker brüchig.

Das ist nicht seit heute in Thailand zu beobachten. Wir vergessen zu schnell. Auch ich brachte mit den aktuellen Protesten nur die letzten Wochen in Verbindung. Zeitungsausschnitte beweisen das Gegenteil.


Länder Informations Portal, 12.8.2014 (Impressum; GIZ)

Trotz Kriegsrecht, Versammlungsverbot und Ausgangssperre kam es zu öffentlichen Protesten. Dabei wird der Dreifingergruß aus dem Film "The Hunger Games" zum Symbol des Widerstandes. Der Gruß ist inzwischen auch verboten. (Um dieses und andere Verbote kümmert sich heute die Protestbewegung nicht mehr.)


Deutschlandfunk, Holger Senkel, 9.6.2016: .

Im Moment herrscht Frieden. Aber die Frage ist, wie lange das dauert und ob eine Mehrheit der Thailänder irgendwann doch – es ist ein sehr geduldiges Volk, aber irgendwann bricht womöglich der Bann, und dann wird es neue Gewalttätigkeiten geben. Auch damit rechnen Politologen und Beobachter….


Wem huldigt die momentane Militärregierung, auf wessen Seite steht sie, was sind ihre Interessen. Darüber zu sprechen oder zu schreiben ist heute in Thailand gefährlich. Ich versuche eine Antwort mit einer Pressenachricht:


„Im April 2017 ist die Messingtafel, die an die demokratische Revolution von 1932 erinnert, von seinem Ort am Royal Plaza Platz in Bangkok verschwunden. Die Plakette wurde nach dem Sturz der absolutistischen Monarchie und der Einführung der ersten demokratischen Verfassung Thailands von der „Peoples Party“ (Khana Ratsadon) eingesetzt. Die Inschrift lautete: „An diesem Ort, im Morgengrauen des 24. Juni 1932, haben wir, die Partei des Volkes, die Verfassung ins Leben gerufen für den Fortschritt der Nation.“ Die Plakette wurde durch eine neue ersetzt, die stattdessen der Monarchie huldigt.




Die am 22.5.2914 an die Macht geputscht Militärregierung hat mit einem Referendum über eine neue Verfassung abstimmen lassen, mit dem sie ihre Kompetenzen und ihre Macht weiter festigt.

 

Dazu ein Kommentar aus GIZ vom 9.8.2017:

Am 7. August 2017 haben die thailändischen BürgerInnen nun über diesen Entwurf in einem Referendum abgestimmt. Das Ergebnis scheint eine Zustimmung der Mehrheit der Thais zu bedeuten. Doch kritische Anmerkungen über den Entwurf waren nicht erlaubt. Parteien durften sich gar nicht treffen, um das Referendum zu diskutieren, und kritische Äußerungen in der Öffentlichkeit dürfen nicht den „politischen Konflikt zwischen Thais schüren“. Dies alles in einem Klima der Repression, das immer absurdere Züge annimmt.

Das Hauptmittel  hierbei ist die Verfolgung von politisch Andersdenkenden unter dem Gesetz gegen Majestätsbeleidigung. Das Gesetz wird systematisch gegen kritische Stimmen eingesetzt, trifft aber auch immer mehr „normale“ Menschen, die sich kritisch über die Monarchie äußern. Der 63 Jährige Ampon Tangnoppakul wurde wegen einer kritischen SMS zu 20 Jahren Haft verurteilt. Ein Taxifahrer wurde wegen einer Diskussion mit einem Fahrgast verklagt und verurteilt. Ein Mann, der sich auf Facebook über den Hund von König Bhumibol lustig machte, könnte bis zu 15 Jahre Haft bekommen. Politisch prominente Beispiele sind Chiranuch Premchaiporn, die Herausgeberin der kritischen Internetseite Prachatai, die 8 Monate auf Bewährung bekam, als sie monarchiekritische Kommentare auf der Seite nicht schnell genug löschte; Schauspieler, die in einem Theaterstück „Die Wolfsbraut“ auftraten, und Sulak Sivaraksa, der nun zum fünften Mal wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht steht, weil er in Frage stellte, ob eine berühmte Elefantenschlacht im 16. Jahrhundert tatsächlich stattfand


Ich hatte in früheren Artikeln über die aktuelle Protestbewegung davor gewarnt, in den Widerstand auch die Monarchie einzubeziehen. „One step by another“ war meine Idee, weil es nun mal das verhasste Gesetz § 112 gibt und angewendet wird. Wenn die Organisatoren und Anführer der Proteste verhaftet sind, was dann? Und außerdem gab ich zu bedenken, dass viele Bürger nicht mitmachen, wwnn es gegen das Königshaus geht.

Aber die Protestierenden beharren auf einer Diskussion über die Monarchie. Sie stellen sich eine Veränderung der konstitutionellen in eine parlamentarische Monarchie vor und orientieren sich dabei an England und anderen europäischen Ländern mit Königshäusern. Nun sind viele von ihnen verhaftet. Aber wenn sie klug sind und gute Anwälte haben, sind sie bald wieder draußen!!!! Was ich weiss, werden sie sicher auch wissen:
Sie können sich dabei auf den König selbst berufen: Der hat angeordnet, den § 112 nicht mehr anzuwenden!!!



Abgesehen davon demonstrierten die Massen in Bangkok zur Zeit der Verhaftungen ihrer Anführer an maximal 4 verschiedenen Stellen in Bangkok. Trotz massiver Polizeigewalt. Zuerst wurden Wasserwerfer eingesetzt, danach mit Lasurfarbe versetztes Wasser (diese Farbe dringt in die Haut und bleibt tagelang drin, ich kenne das aus dem Grafikbereich), danach mit Ätzmitteln versetztes Wasser. Dagegen protestierten inzwischen hunderte Ärzte. 



Zum Schluss wurde mit Gummigeschossen vorgegangen. 


Geben danach die Protestler auf? Im Gegenteil, Gestern fanden die Demonstrationen mit immer mehr Menschen an 10 verschiedenen Orten in Bangkok statt. Damit hat die Polizei nicht gerechnet und ist relativ machtlos. Die Regierung weiß genau, dass bei Anwendung von Schusswaffen das zu noch mehr Massenprotesten führen würde. Deshalb waren am 20.10. kein Polizeiaufgebot und keine Wasserwerfer mehr zu sehen. Ordnungskräfte der Protestbewegung regelten selbst den Verkehr und Jung und Alt säuberten anschließend die Straßen und Plätze. Hochachtung, diese Thailänder*innen haben verdammt schnell und verdammt viel gelernt. Es gab sogar wie damals in Portugal Blumen für Polizisten. 


Der Protestfunke springt auf immer mehr Städte über.: Khon Khaen, Udon Thani, Chiang Mai, Ubon Ratchatani und Uni-Städte im Süden. 

Und es passiert überall in Schulen, Universitäten und bei den Demonstrationen etwas Unglaubliches: Wenn um 18 Uhr die Thailänder beim täglichen Absingen der Nationalhymne bisher stramm standen, werden jetzt die Arme und die verbotenen drei Widerstandsfinger erhoben.


Das liest man nicht in dem nicht als regierungskritisch sondern als regierungskriecherisch einzustufenden FARANG. Auch in den Thaimedien ist man vorsichtig, nachdem gestern bereits drei TV-Sender und versch, Internetseiten verboten wurden, u.a. unser Lieblingssender VOICE TV, der schon einmal nur ein schwarzes Bild sendete. 


Wegen einer Berichterstattung, „die Unruhe stiften könnte“, sollen diverse Presseorganisation vor Gericht gestellt werden. Dazu gehörten der National Press Council von Thailand, der News Broadcasting Council von Thailand, die Thai Journalists Association, die Thai Broadcast Journalists Association, die Online News Providers Association und die National Union of Journalists Thailand.




Die Studenten haben unter anderem Namen neue Seiten geöffnet und greifen die Regierung frontal an: "DAS SIND AKTE EINER DIKTATUR!"


Man darf erstaunt sein über diesen Wandel in der Thai-Gesellschaft und gespannt sein auf die Zukunft.


Manfred Spies

21.10.2020, 15 Uhr




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