Dienstag, 31. August 2021

"Ferrari Joe"- Vorurteil/Urteil

„Im Zweifel für den Angeklagten…“


Wie oft schon waren wir wütend, wenn wir bei einem Merdprozess, einer Vergewaltigung oder einem anderen spektakulären Fall UNSER Urteil nicht bestätigt bekamen! Wenn die Verteidigung besser war als der Staatsanwalt. Wenn es für den in unseren Augen feststehenden Täter sogar einen Freispruch gab. Unfassbar!  Wir und die Öffentlichkeit tobten.





Aktuell könnte es uns im Fall von „Ferrari Joe“ so gehen:

 

War es Mord, war es Totschlag, war es Körperverletzung mit Todesfolge? In allen Fällen MUSS dem Beschuldigten jede anwaltliche Hilfe zur Verfügung stehen. Vorverurteilungen und Vorurteile sind hinderlich. Ich schlüpfe mal mit meinen lächerlichen drei Semestern Jura in die undankbarste Verteidiger-Rolle:


„Hohes Gericht. Mein Mandant war nicht auf der Flucht. Er war in Panik, weil ein Mensch gestorben ist und man ihm die Schuld dafür gibt, und eine Hetzjagd bevorstand.  Was ist passiert?:


Mein  Mandant ist ein ehrenwerter Staatsdiener, der Unglück von unserem Land fern halten will. Sein Team erwischte einen als Drogenkurier verdächtigen und sie verhörten ihn. Sie hatten bei dem Mann und seiner Komplizin große Mengen Drogen gefunden und glaubten, einer größeren Sache auf der Spur zu sein. 

Um das Geständnis und die Namen der Hintermänner zu bekommen, wandte mein Mandant unübliche Verhörmethoden an, für die er auch die Verantwortung auf sich nimmt. 

Aber es ging ihm um die Sache. Würden Sie, hohe Richterinnen und Richter, nicht auch aus der Haut fahren und vielleicht etwas zu weit gehen, wenn es sich um die Gesundheit und das Schicksal ihrer Kinder handelte? (Der Anwalt führt das weiter aus.) 

Meinem Mandanten werden als Grund für seine unüblichen Verhörmethoden - hier das Überziehen von Tüten über den Kopf des Festgenommenen - Erpressungen vorgeworfen. Dafür gibt es keine Beweise. Haben Sie auf dem Video eindeutige Äußerungen meines Mandanten in dieser Richtung? Nein! 


Hat mein Mandant den Festgenommenen oder seine Komplizin geschlagen oder gefoltert? Nein! 

Niemand kann also meinem Mandanten böse Absichten unterstellen. Der Festgenommen stand unter Drogeneinfluss und die haben zu einem Schock geführt. Der Festgenommene hat diesen Schock nicht überlebt. Von einer heimtückischen TötungsABSICHT, also von Mord, kann also keine Rede sein. Ebenso wenig von einem Totschlag.


Infolge des Verhörs kam es bei dem Festgenommenen zu einem Herzstillstand. Sofort wurde von meinem Mandanten und den anwesenden Beamten reanimiert. Ob der Herz- und Atemstillstand und der folgende Tod des Festgenommenen URSÄCHLICH mit dem Überziehen der Tüte zusammenhing, müssen die Forensiker klären. Bisher ist das jedenfalls in keinen Zusammenhang gebracht worden. 


Nach diesen Ausführungen kann also auch eine Körperverletzung mit Todesfolge ausgeschlossen werden.

Auch eine fahrlässige Tötung ist auszuschließen, weil die umgehende Reanimation das Gegenteil von Fahrlässigkeit ist.


Sofort, nachdem sich mein Mandant der Polizei zur Erklärung des Sachverhalts stellte, hat er den Vorfall bedauert und die Verantwortung für die unübliche Verhörmethode übernommen. Ausserdem ist er traurig und erschüttert über den Tod des Drogenkuriers, der unter Drogen stand und  möglicherweise dadurch den Schreck und den Schock nicht überstand.


Was den Lebensstil meines Mandanten angeht, so hat das mit seinen Anschuldigungen im Zusammenhang mit dem Tod des Festgenommenen nichts zu tun. Aufwändiger Lebensstil infolge von Schenkungen und anderen legalen Zuwendungen sind nicht strafbar.


Ich beantrage daher die umgehende Freilassung meines Mandanten und kündige jetzt schon an, dass in einem eventuellen Verfahren die Verteidigung bis zum höchsten Gericht gehen wird um einen totalen Freispruch zu erwirken.“


Wir kennen das aus vielen Fällen in Deutschland. und aus etlichen Gerichts-Filmen. In Thailand wird das ähnlich sein. 

Aber eins muss trotz Zorn und Fäusterecken klar sein: Wenn es auf dem Video und von Zeugen keine Beweise gibt, wird Recht gesprochen, ob uns das passt oder nicht! Rechtsprechung fundiert auf Beweisen, nicht auf Vermutungen und Gefühlen.


Manfred Spies

Dienstag, 31.August 2021








Donnerstag, 26. August 2021

"This is Your Land...."

 

„This is your land…“


„Ich möchte am liebsten weg sein, und bleibe am liebsten hier.“

Diese Zeilen von Wolf Biermann formuliere ich nach zehn Jahren Thailand anders: „Ich möchte am liebsten weg sein, und bleibe gezwungen hier.“


- Ich bin gezwungen, weil ich wegen und mit meiner Frau hierher kam. 

- Ich bin gezwungen, weil ich das größte und schönste Heim meines Lebens hier habe, umgeben von einem riesigen Garten mit über 1000 gepflanzten Palmen, Obstbäumen, Sträuchern und Blumen.

 - Ich bin gezwungen, weil ich meine wunderbaren Sachen, Bücher, Filme usw. alle hierhin mitgebracht habe. 

- Ich bin gezwungen, weil ich mit 80 krank und nicht mehr so beweglich für einen Wechsel bin.


Ich kam als Unwissender in das Land des angeblichen Lächelns und weiss heute, was hier alles verlogen ist. Ich weiss um die Sorglosigkeit, mit der die Thailänder mit ihrer Natur und mit dem Leben insgesamt umgehen. Ich wusste nicht, dass es hier außer in den dreckigen Metropolen keine Theater, keine Filmkunstkinos, keine Museen für moderne Kunst, keine Opernhäuser, keine Bibliotheken, keine Konzertsääle gibt. Okay, wer sich nur für Fußball interessiert, wird einigermaßen bedient. Und dass es kein Miteinander gibt wusste ich auch nicht. Wie froh und glücklich war meine Frau Luck in Düsseldorf, als wir zusammen in vollen Biergärten saßen und fremde Menschen neben uns mit uns begannen zu reden und zu lachen. Als wir im Sommer auf der Ratinger Straße im Menschengewühl nachts standen, frage Luck, "Was machen die Menschen da?" Die trafen sich nicht zum Abendessen, sondern zum Quatschen und Trinken. Das kannte sie nicht.

Ich kannte nicht, dass man in Thailand - vor allem in Schulen . keine Fragen stellt. "Das ist unhöflich. Der/die Gefragte könnte es nicht wissen und verliert sein Gesicht." Ich hatte von Hierarchien auch in Familien gehört - der Großvater entscheidet über ja oder Nein zum Ehewunsch der Enkelin  - aber dass auch heute in den Schulen und Gymnasien die Schüler ihr Heft auf Knien rutschend zum Lehrer bringen, wusste ich nicht. Und dass die für Ausländer wie Einheimische großartige Kultur für uns Farangs befremdlich sein kann, wenn man davon direkt betroffen ist, weis ich erst jetzt: Ich habe vielen Freundinnen meiner Frau und meinen Kumpels oft Geschenke gemacht, die emphatisch waren. Aus meiner Musiksammlung mit etwa 25.000 Titeln konzipierte ich speziell auf die Bedürfnisse der Beschenkten abgestimmte CD-Sampler, die ich mit meinen Geräten zusammenstellte. Dank durfe ich nicht erwarten.: Wenn man schenkt oder Gutes tut, macht man das für sich selbst - gutes Karma. man kann sich bei sich selbst bedanken!



Ich kenne jetzt den Smog und den Müll und den Dreck vor und in den Häusern. Ich kenne die Korruption, die das gesamte gesellschaftliche Leben durchfärbt. Ich lernte, dass man in Thailand in einem durch und durch repressiven Land politisch unterdrückt ist, keine Meinungsfreiheit hat und dazu auch seine Gefühle nicht zeigen darf. Es gibt in Schulen zwar Sexualkunde-Unterricht, aber über Lust wird nie gesprochen. Händchenhalten ist außerhalb von Großstädten das Äußerste an Zuneigung, das man zeigten darf. Küssen in der Öffentlichkeit ist untersagt und wird am Valentinstag sogar bestraft. 


Man muss nicht Psychologie studiert haben, um zu wissen, dass in einem dermaßen repressiven Klima Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind. Der enorme Druck der täglichen Repression wird mit Aggression, Alkohol, Drogen und Raserei im Verkehr kompensiert. Auch um das zu erkennen reicht nur eine Doppelstunde Psychologie in der VHS (Volkshochschule). 


Ich kam in ein Land mit 97% Buddhisten und habe eine so umfassende Abkehr von den ursprünglichen Lehren niemals erwartet. Ein Land schlägt Buddha mit der Regierungsfaust ins Gesicht!, wenn es die buddhistische Religion sogar in der Flagge verdeutlicht und die Todesstrafe praktiziert. Das tägliche Morden, Totschlagen und die Gewalt schockieren mich als Theravada-Buddhisten der alten Schule zutiefst.



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Wer seine Lust nicht frei erleben kann, wer durch permanente Anpassung und Sich-Ducken kein Selbstwertgefühl entwickelt, muss sich umbringen, wie ein geprügelter Hund durchs Dasein schleichen oder zum Überleben Übersteigerungen entwickeln. 

„Wir sind die Größten“ ist für die Thais hilfreich, Nationalismus kompensiert ebenfalls. Um auf dieser verlogenen Ebene zu bleiben, lässt man in Thailand den Tellerrand klein, interessiert sich nicht für das Andere und pflegt sein Inseldenken.

Wer in Thailand anderen - um Buddhas Willen niemals Handwerkern! - Tips gibt, hat schlechte Karten. Die Thais sind die Besten und Größten! 


Das wusste ich alles nicht, und das hat mir keiner der Expats gesagt, die uns hier haben wollten und die selbst zum Teil längst wieder nach Europa zurück gekehrt sind. Und meiner Frau fallen solche Sachen als Einheimische kaum auf. 

Das fällt ja auch heute den hier lebenden Expats kaum auf, weil sie auch früher in ihrer Heimat die Augen und Ohren nie weit aufgemacht oder sich kritisch eingemischt haben. 

Wir alle klammern uns in dieser Realität an das „Jeden Tag genießen“, als ob wir das wie ein Mantra zum Überleben brauchten.


Ja, ich möchte lieber weg sein, dahin, wo man Demokratie nicht als ein Übel betrachtet, dahin, wo es Freiheit nicht nur in Chart-Hits geträllert gibt, dahin, wo zur Kultur ein Miteinander, Singen und Tanzen, abends bis Mitternacht auf den Straßen zusammen sitzen gehören. Dahin, wo es weniger Lüge und mehr Frieden gibt. 

„Das sind Träume!“ höre ich es rufen. „Dann hau doch ab“! höre ich es grölen.


"This Land is Made Not for Me." 


Manfred Spies, 26.August 2021


(Die aufwendige Doku mit etwa 80 Bildern darf man sich in Ruhe ansehen.Das ist natürlich nicht alles aktuell. Meine Enttäuschung hat sich über Jahre entwickelt.)


Diese Regierung und die Journalisten:


https://www.spiegel.de/ausland/thailands-premier-besprueht-journalisten-mit-desinfektionsmittel-a-765f982b-c2ac-49f4-a82c-202d3529062b

































































Manfred Spies,

16.8.2021, Pak Chong / Nakhon Ratchasima