Freitag, 2. Juli 2021

Neue Freunde


Neue Freunde (Auszug)

Ich war abends von Bangkok kommend im Düsseldorfer Regen gelandet. Die „Abfertigung“ an diesem Großstadt-Airport entsprach in keiner Weise diesem bürokratischen Wort „Abfertigung“. Zwar waren wir schnell „fertig“, aber bei der Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wäre „Mitfertigung“ oder „Zusammenfertigung“ angemessener.


Der Taxifahrer mit iranischer Herkunft sprach für seine zwei Jahre Deutschland-Aufenthalt ein angemessenes Deutsch, mit dem mein Gymnasial-Englisch von sieben Jahren nicht vergleichbar war. Wie alle meine Freunde bestätigten, wurde ich damals ZUM GLÜCK von meinem Vater wutentbrannt von der Schule genommen, um „mich nach einer Lehre selbst ernähren zu können“. Später hat der gleiche Vater Zeitungsausschnitte über mich in einem Album gesammelt. Aber ich schweife ab.


Der Iraner war studierter Zahnmediziner ohne aktuelle Chancen, in Deutschland anerkannt zu werden. Ich zeigte ihm auf meine Hand gelegt mein künstliches Oberkiefergebiss, das ich seit einem Sturz aus fünf Metern Höhe auf mein Gesicht als Ersatz täglich angeklebt tragen muss, um bei meinen Gesprächspartnern keinen Schock auszulösen.. Er bemerkte. „Die Visage ist aber attraktiv geblieben!“ Ich bedankte mich für dieses ohne kommerziellen Hintergrund abgegebene Kompliment mit der Überreichung meiner Karte und dem Versprechen, wenn er meinem Gebiss einen festen Wohnsitz verschaffen könnte und diesen Umzug auch die Gesetzliche bezahlt,  würde ich ihn gern beauftragen und Werbung für ihn machen.

Vor der Wohnung meiner Freundin Brigitte auf der Prinz-Georg-Straße wurde ich abgesetzt. Wie immer warf sie den Schlüssel in einem Kuvert geknüddelt von der vierten Etage des Altbaus auf die Straße. Das Treppenlaufen ist für sie zu anstrengend geworden. Wir kennen uns seit 50 Jahren und sie ist ein Jahr älter als ich. Meinen Koffer schleppte ich langsam mit Pausen 116 Stufen zu ihr hinauf.




Brigitte ist Pädagogin und hatte immer ein Herz für Hilfsbedürftige in einer Welt, die sie auch bereiste und im Wortsinn "erlebte".

Natürlich gab es wieder eine halbe Nacht lang Spannendes zu erzählen, nachdem ich ihr heimlich einen Hunderter für ihr Afrika-Projekt im Flur unter die Schale aus Peru gesteckt hatte.

Brigitte besuchte auf ihren letzten Reisen nur Afrika. In Burkina Faso lernte sie über eine Lehrerin einen afrikanischen Schüler kennen, der sich selbst die deutsche Sprache beibrachte und ihr seine kleine Bibliothek deutschsprachiger Bücher zeigte. Da standen Märchen von Grimm und Hauff neben Goethe und Schiller. Brigitte war überwältigt und förderte jahrelang diesen wunderbaren jungen Mann. Der gläubige Christ Mohamed (mit einem M) wohnte später bei ihr und studierte in Münster Germanistik und Geschichte. Seine Diplom-Arbeit machte er über PARZIVAL, was die meisten Deutschen wahrscheinlich für eine Pasta-Variation oder einen süditalienischen Wein halten würden. Er lernte auch Mittelhochdeutsch und bei unserem Kennenlernen überrasche ich ihn mit Gedichten von Walther von der Vogelweide in Mittelhochdeutsch. 


„Under der linden

An der heide

Dâ unser zweier bette was

Dâ mugent ir vinden

Schône beide

Gebrochen bluomen unde gras

Vor dem walde in einem tal

Tandaradei

Schône sanc diu nahtegal….“


Welch eine poetische Umschreibung der Begegnung zweier Liebender in der freien Natur! Mohamed glänzte dann noch mit dem ältesten Gedicht in Althochdeutsch: Atta unsar.

Welch wunderbare Gespräche mit einem hochgebildeten Afrikaner, der von einer Unikarriere in Deutschland nichts wissen und seinem Volk sein Wissen schenken wollte!

„Er wird mal Kultusminister“, sagte seine jahrelange Förderin Brigitte. Wenn ich die Situation in Burkina Faso beobachte, habe ich Angst um ihn und seine inzwischen vierköpfige Familie.


Mohamed aus Burkina Faso mit Familie, Dipomarbeit über PARZIVAL

Mohameds Frau bei der Vorbereitung von Wasserflaschen, die sie aus Geldmangel - Mohamed hat noch immer keine Uni-Stelle . auf dem Markt verkauft. 


Nach dem bei Brigitte immer reichhaltigen Frühstück wurde ich von ihr zum Hauptbahnhof gebracht, wo auf Gleis 16 der IC nach Berlin wartete. Ich habe mich vor Jahren aus Düsseldorf abgemeldet und bin nach Lindow/Mark in Brandenburg gezogen. Meine Heimatstadt hatte mir wie hunderten andrer Künstler mit unerträglich viel Missachtung und Verfolgung weh getan. Ausser meinem Wohnsitz in Thailand erhoffte ich in der Ruhe von Lindow und in der Nähe von Berlin Frieden und eine menschliche, warme Nähe zu finden, die ich in dem weltoffenen aber menschenabgewandten „Klein Paris“ nie fand. Diese und die „Kunststadt“-Attitüden erlebte ich bereits seit meinem Kunstunterricht bei Heinz Mack im Leibniz.Gymnasium als verlogen.


Immer komme ich vom Hölzchen aufs Stückchen und aufs Blättlein. Aber so ist das eben bei lebendig flatternden Fantasien, die nicht in Volieren eingesperrt sind.




Ich saß ja schon längst im IC 2359. Angenehm, rechte Seite am Fenster in Reiserichtung, in den Händen ein kleines Buch, das als Lesestoff für die vier Stunden reichen sollte.

In Essen kam ein sehr gut aussehender, stattlicher Mann in mein Abteil, grüßte und nahm mir gegenüber am Fenster Platz. Über mein Buch hinweg musterte ich seinen dunkelblauen, fein gestreiften Anzug mit Weste und sein dazu passendes ganz hellblaues Hemd mit einer auffällig gemusterten Krawatte, die ihm einen Preis als Krawattenmann des Jahres hätte einbringen können. Die Schuhe des eleganten Herrn konnte ich nicht sehen, weil er etwas schräg saß und die Beine ausgestreckt hatte. 

Während ich noch überlegte, welchen Beruf ich ihm zuordnen könnte, frage er, „Woher haben Sie das Buch, das Sie da lesen?“



„Oh, ich bestellte es in Düsseldorf, weil ich es in Thailand, wo ich lebe, nicht bekomme. Der Autor ist zwar Thailänder, aber die meisten seiner Bücher sind verboten.“

„Das weiss ich. Ich kenne ihn sehr gut. Er hat mit einem vietnamesischen Abt und dem Dalai Lama die „Engagierten Buddhisten“ gegründet. Er kämpft für mein Ansehen. Pardon, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Buddha.“


Ich bin nun wirklich kein gläubiger Mensch, der Überirdisches, Göttliches und Mystisches in seine Wahrnehmungswelt reinlässt. Aber als mein Gegenüber diesen Satz aussprach, war plötzlich das Abteil von einer unerklärlichen Wärme und einem Gefühl sanfter Geborgenheit erfüllt. Ich hatte noch nie so urplötzlich zu jemandem Vertrauen gehabt. Als asiatischer Buddhist hätte ich mich sofort vor Verehrung auf den Boden schmeissen müssen. Aber ich wusste, dass der Gautama Buddha das strickt ablehnte, und es entsprach auch nicht meinem Verständnis von grundsätzlichem Miteinander. Wir hielten lange unsere Hände fest und in unseren Blicken gab es etwas wie ein Band, das um uns wehte und enger wurde.


„Ich bin auf der Reise nach Berlin. Gleich treffe ich noch Jesus, der in Hamm zusteigt und dann erwarten wir ab Hannover den Mohammed. Wir beraten uns schon lange und wollen jetzt bei einem internationalen Religionskongress  die sogenannte Fachwelt ein wenig aufmischen. Ich war ja als einziger für einen „Ideen-Kongress“, aber da hätten wir die ganzen Klima- und Umweltthemen dabei gehabt. Uns geht es jetzt besonders um den Missbrauch unserer ursprünglichen Werte und Lehren.

Komm doch mit und schreib etwas darüber. Du wirst dich besonders über den wütenden Mohammed wundern, der alleine schon aufgrund seiner verständlichen Eitelkeit sauer darüber ist, dass er im real existierenden Islam nicht abgebildet werden darf. In Berlin will er tausende seiner Portraits, fotografiert und gezeichnet, auf Straßen und vor Moscheen verteilen. 

Lass uns in den Speisewagen gehen und nach einem freien Tisch Ausschau halten.“


(Auszüge, „Neue Freunde“, © Manfred Spies 2020)







 

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