Nana-Hospital-Komplex mit Parkhaus |
Als wir vor einer Woche im NANA-Hospital - staatliches Krankenhaus in Pak Chong - die neuen Röntgenaufnahmen mit dem Arzt besprechen wollten, warteten wir auf den Arzt von 10 Uhr an. Nach sechs Stunden hatte ich die Schnauze voll, fuhr nach Hause und mit der CD am nächsten Tag zur Besprechung ins Bangkok-Hospital. Das ist zwar sehr viel teurer, aber nach einer halben Stunde Warten sprachen wir mit dem Arzt. Der sah sich mit uns den aktuellen Horror an. Der Kopf des Düsseldorfer Titan-Implantats hatte sich enorm verschoben, von der
schützenden Kappe des Gelenks war nichts mehr zu sehen.
Mein damaliger Witz, dass sich der Oberschenkel bei Belastung weiter nach oben in den Bauch schieben und mich später beim Sprechen hindern könnte, war nahe an der Wirklichkeit. Der Orthopäde zeigte mir eventuelle OP-Möglichkeiten und sprach von „sehr teuer.“ Die Kosten incl. Intensivstation wären in einer Privatklinik völlig utopisch.
Möglichkeit einer Korrektur |
Ich schickte das ganze Material nach Deutschland in eine spezielle Klinik. Dort könnte die gesetzliche Krankenkasse die OP , das Krankenhaus und die Reha bezahlen. Schließlich bin ich - zum Glück - seit über 60 Jahren Mitglied.
Kurz und schlecht: Es gibt keinen Ersatz durch die Kasse, ich bin zu alt für so eine Investition.
Also versuchten wir es heute sehr früh noch einmal im NANA-Krankenhaus zwecks einer Überweisung und weiterer Recherchen im riesigen und qualifizierten Maharat-Hospital. Das ist auch staatlich und sicher etwas billiger.
Vor dem Arzt-Termin muss man Zettel ausfüllen und Blutzucker und Blutdruck messen lasen. Die Schwester stockte entsetzt und maß Puls und Blutdruck noch einmal. Dann wurde ich zum EKG geschickt. Nach diesem Ergebnis holte man mich nach einer halben Stunde mit einer Liege ab und karrte mich holpernd durch die Gänge über teilweise kaputte Fußböden zu einer Abteilung, über dessen Türschleuse „EMERGENCY“ stand. Luck kam sehr besorgt hinterher. Sie erzählte, dass mit meinem Herzen etwas nicht stimmt. Beim ersten Blutdruck war mein Puls 51, beim EKG flatternd und teilweise 128.
Ich kam auf ein rollbares Eisenbett mit einer roten, sich wie ein Brett anfühlenden Hartschaum-Matte, die mit einer dicken Folie bezogen war. Rechts und links wurden Gitter hochgezogen. Wohin mit meinen Krücken? Erst mal ins Bett.
Eine Krankenschwester mit einem blauen Kittel, auf dessen Rückseite „Nurse Emergency“ stand, die aber ansonsten reichlich in hellblaues Plastik gehüllt war, versuchte bei mir eine Ader zu orten. Schließlich wurde sie auf meinem Handrücken fündig und schloss mich an einen Tropf mit klarer Flüssigkeit an. Ich bekam etwas über einen Finger gestülpt und ein Gerät erzählte etwas über meinen Zustand. Die Schwester hatte mit Luck ein kurzes Gespräch, dann wurde meine Frau hinaus komplimentiert. Sie drehte sich noch einmal winkend um.
Der Raum war sehr hell und riesengroß. Es gab mit blauen Plastikvorhängen abgeteilt acht „Zonen“ auf der einen Längsseite, u.a. Emergency, Urgent, Mass Casuality, Stroke, Observation.
Auf der anderen Seite waren es vier Zonen neben dem Büro, das ich von früheren Aufenthalten als Quatsch- und Lärmbude kannte. Es ist sicher jedem Expat schon aufgefallen, dass die Thais nicht nur gern extrem laute Musik lieben, sondern sich auch sehr laut unterhalten. Wenn ich früher Luck mit Schwestern oder Freundinnen chauffierte, hatte ich immer Oropax dabei.
Eine ruhige Thai-Entspannung |
Bei den Schwestern und den beiden Pflegern ging es sicher nur zu 10% um die Patienten. Es wurde gealbert, gerufen und sehr laut gelacht. Die hohen Frauenstimmen, die gedehnten Laute der etwas quäkend klingenden Thai-Sprache, muten oft wie Entengeschnatter an. Wenn mein „Ausrufer“ mit tiefer Stimme etwas in sein Funkgerät brüllte, bekam sein Kittel-Schriftzug „Nurse Emergency“ eine ganz neue Bedeutung.
Jede „Zone“ war etwa 4 Meter breit und hatte Platz für je zwei Eisenbetten. Bei meiner Ankunft waren vier Betten in den Zonen Stroke und Urgent belegt. Am Nachmittag lagen 14 Patienten im Raum. An der fensterlosen, etwa 30 Meter langen Längswand mir gegenüber arbeiteten 6 riesige Klimaanlagen. Die taten ihr Bestes. Nach einer Stunde hatte ich eiskalte Hände. Viele der Eingelieferten waren zugedeckt. Ich fragte nach einer Decke. „Die müssen Sie sich selbst mitbringen“ wurde mir barsch erklärt. Jetzt fiel mit die billige Qualität und die Buntheit der Decken auf.
Der Sound im Raum war beeindruckend. Hin und wieder gab es aus den Deckenlautsprechern Durchsagen. Ansonsten leiser Thai-Pop. Aus den diversen Kontrollgeräten, die mit ihren farbigen Wellen-Linien Seegang nachzubilden schienen, nahm ich acht verschiedene Töne wahr. In das Gepiepe mischten sich noch die Klingeltöne der Handys und das Gewimmer eines Babys am Raumende. Wirklich kein Konzert, eher eine medizinische Kakophonie. Ein Ton machte sich wichtig und übertönte alle anderen. Er erinnerte mich an das Herablassen von Bahnschranken in meiner Kindheit. Anscheinend gingen die Schranken sehr langsam runter. Es dauerte und dauerte. Leider kam kein Zug.
Mein „Ausrufer“ telefonierte anscheinend mit einem Anrufer in Sibirien, der ihn kaum verstand. Sein Gebrüll störte nur mich. Auch als ein alter Mann offenbar schlafend reichlich seine Notdurft verrichtete und sauber und trocken gelegt werden musste, beschwerte nur ich mich über den Anblick bei offenen Vorhängen.
„Der merkt das gar nicht“ wurde mir erklärt.
Zwischendurch wurde ich von einem Krankenhaus-Helfer im gelben Shirt vorbei an Massen von wartenden Patienten zum x-ray-Raum gerollt. Mein Herz musste noch genau betrachtet werden. Was soll ich Luck erzählen, was sie da alles über sie und mich entdeckt haben?
Zürück im Notfallkühlschrank lag ich inzwischen da mit geschlossenen Augen, die eine kalte Hand unter der Achsel. Die andere Hand war ja an die Infusion angeschlossen und musste frieren. Ich wollte nichts sehen, keine gequälten Gesichter, keine Bein oder Armstümpfe, keine halb entblössten Körper voller Narben. Als ich ein schnurrendes Geräusch hörte, blinzelt ich ein wenig. Ein Patient wurde reanimiert und diesmal zog man die Vorhänge zu. In allen Thai-Kliniken habe ich erlebt, dass erfolglos reanimierte Patienten unabgedeckt raus geschoben wurden. Man will ja niemanden schockieren.
Die Bahnschranke war immer noch nicht unten. Das Baby am Raumende wurde anscheinend gequält. Das fürchterliche Geschrei erfüllte den ganzen, großen Raum. Es war eine von mir nie gehörte Mischung aus Schmerz, Angst, Wut und Panik.
Ich nahm aus meiner Hemdtasche eine Serviette, aus der ich mir mit Spucke Kügelchen formte und sie mir in die Ohren steckte.
Ich nahm sie nach einer Stunde wieder raus. Das Baby war still. . Am Infusionsgerüst baumelten die Bettschilder im kalten Wind der Air Conditions.
Ich bitte eine Nurse, meine Krücken aus dem Bett zu nehmen und unten auf der Ablage zu verstauen. Ich brauche Platz und mache wegen der Kälte ein wenig Gymnastik mit Fingern, Händen und dem gesunden, rechten Bein.
Nun habe ich einen Liter Flüssigkeit bekommen und nichts dabei geschmeckt. Wein über die Kanüle wär mir lieber gewesen, aber dabei würde ich leider auch nichts schmecken. Als ich vom „Ausrufer“ eine neue Flasche bekomme, schließt er zusätzlich einen kleinen Behälter an. Ich deute auf die neue Infusion und sage, „Danke für den Wodka.“ Er schaut mich verständnislos an und geht weg. Auch eine Expat-Erfahrung: Mit Ironie und Sarkasmus können die Thais nix anfangen. Vorsicht, wenn du es nicht faustdick aufträgst. Sie könnten das sonst ernst nehmen und meinen, ihr Gesicht zu verlieren.
Jetzt sind es 14 Uhr und die Infusion und der Wodka tropfen sehr langsam. Das wird bis 17 Uhr nicht leer sein. Und die Laborwerte der letzten Blutabnahme dauern auch. Aber ich will vor der Dämmerung zu Hause sein und auf gar keinen Fall, und zwar auf gar keinen Fall hier die Nacht verbringen.
Während des gesamten Tages war Luck in der Klinik wegen bürokratischer Aktivitäten unterwegs und sprach mit Ärzten. Der Internist gab ihr Auskunft über mein Herz. Auch mit dem Orthopäden hatte sie einen Termin. Sogar der Chef der Orthopädie war gekommen, um ihr zu sagen, dass eine Überweisung nach Korat geschrieben wird und nur dort die Ärzte entscheiden können, ob eine Reparatur und Fixierung des Gelenks möglich ist. Wie immer hätte ich ohne meine liebe Luck nichts erreicht. Was habe ich für in Glück. Ich erinnere mich noch an Januar 2001 die erste Nacht im Maharat-Hospital nach meinem Schlaganfall, als sie ohne Essen, ohne Decke und Kissen die ganze Nacht im Flur vor der Intensivstation auf einer Steinbank in der Januar-Nachtkälte lag. Diese Rücksichtslosigkeit, diese völlige Abwesenheit von Empathie des Personals war der erste Grund, dieses Lazarett sofort wieder zu verlassen. Dagegen war es der Himmel, nach drei Tagen zurück zu kommen nach Pak Chong ins Nana-Krankenhaus auf die Stroke-Station.
Um 15 Uhr kam eine Schwester und zog mir die Kanüle raus. Ich wurde vor die Tür des Hauses gefahren, wo ich Luck traf. Das Auto der Schwester kam und um 15.20 Uhr waren wir zuhause. Ich aß ein letztes Srück meiner Geburtstagstorte.
Manfred Spies, 9.5.2022, 20 Uhr
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