Montag, 10. September 2012

Mauerfall - Erinnerungen

Als ich im Zusammenhang mit einem Kulturaustausch zwischen dem Düsseldorfer Schauspielhaus und dem Staatstheater Dresden 1986 in die DDR fuhr, war das für mich und alle anderen wie ein Kulturschock. Einerseits eine unglaublich kleinbürgerliche Spießigkeit, andererseits eine brutale Offenheit und Systemkritik bei persönlichen Gesprächen mit den Künstlern, die mir zum Teil ihre Pässe als Andenken schenken wollten: „Den brauche ich doch sowieso nicht.“

Eine Wäschtruhe zum Draufsetzen in einem Design, das im Westen selbst in den Fünfzigern zum Lachen angeregt hätte.



Von solchen Fenstern habe ich Unmengen fotografiert, da ich so etwas noch nie gesehen hatte. Nach meiner Rückkehr stelle ich beschämt fest, dass der "Charme" dieser Fenster durch die grenzenlose Armut geprägt wurde.

Als wir bei einer Bootsfahrt mit dem Raddampfer „Weltfrieden“ in einem Andenkenkörbchen neben Kitsch den Slogan „Der Sachse liebt das Reisen sehr“ entdeckten, war das Gelächter bei unseren DDR-Freunden groß. Aber es klang schrill und verzweifelt.



In der Hauptpost Dresdens fotografierte ich innen Teile der alten Ausstattung. Sofort wurde ich abgeführt und vernommen.
„Was fotografieren Sie hier?“
„Die schönen, alten Deckenlampen. Ist das verboten? Ich wusste nicht, dass ich mich auf militärischem Gebiet mit Fotografierverbot befinde.“
Auf meine Frage, ob ich mich in einem demokratischen Land befinde oder nicht, warf man mich hinaus.

Draußen verstärkte sich bei uns angesichts des allgemeinen Verfalls der Eindruck, dass das nicht mehr lange so weiter gehen kann. Die Bilder von zugemauerten Toren und Eingängen am Zwinger in Dresden und an der Akademie haben symbolischen Charakter wie der Verfall der Häuser.
 






Aber die politischen Parolen, die man überall sah, beschrieben eine völlig andere Wirklichkeit. Es wurde von Fortschritt gefaselt und gleichzeitig der Fabrikmüll in die Elbe gepumpt, die zu dieser Zeit tot war.

Die Parole am Weksgelände der am Elbufer gelegenen Fabrik lautet: "Der unzerstörbare Bruderbund mit der Sowjetunion - Fundament unseres Voranschreitens." Realkabarett.


Eines meiner Lieblingsfotos zeigt die Siegessicherheit einer riesigen SED-Parole und den Weg abwärts auf einem völlig vergammelten Verkehrsschild.




Es dauerte noch ein paar Jahre bis die Bürger der DDR zu immer größeren Demonstrationen den Mut hatten und mir schließlich 1989 einen der schönsten Tage meines Lebens bescherten.


4. September: Im Anschluss an das montägliche Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche findet eine Demonstration von etwa 1.200 Menschen statt.

25. September: Auf der Montagsdemonstration in Leipzig fordern 5.000 bis 8.000 Demonstranten demokratische Reformen und die Zulassung des Neuen Forum.

2. Oktober: Montagsdemonstration in Leipzig mit bis zu 20.000 Teilnehmern.

16. Oktober: Mehr als 100.000 Menschen demonstrieren in Leipzig.

23. Oktober: 300.000 Menschen demonstrieren in Leipzig, Zehntausende in Magdeburg, Dresden, Schwerin, Zwickau, Halle, Stralsund und Berlin sowie bereits an den Vortagen in Plauen und Rostock.



Die Agonie des DDR-Systems begann für mich am 10.September 1989. Danach war praktisch alles unaufhaltsam.

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0. September: Die ungarische Regierung öffnet in der Nacht zum 11. September die Grenze zu Österreich für DDR-Bürger. Zehntausende von DDR-Bürgern reisen in den nächsten Tagen und Wochen über Österreich in die Bundesrepublik aus. KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow bestätigt später, dass die Ungarn für diesen Schritt nicht mehr in Moskau um Erlaubnis gebeten hatten.

24. September: Die Botschaft der Bundesrepublik in Prag wird zum Sammelpunkt für DDR-Flüchtlinge, weil die CSSR die Kontrollen an der Grenze zu Ungarn verschärft.

26. September: Der stellvertretende Stasi-Minister Rudolf Mittig ruft die stellvertretenden Chefs der MfS-Bezirksverwaltungen zusammen und gibt als Parole aus, die "feindlich-oppositionellen Zusammenschlüsse" mit dem Ziel der Zerschlagung "operativ zu bearbeiten".

30. September: Die DDR lenkt im Prager Botschaftskonflikt auf sowjetischen Druck hin ein: Außenminister Genscher und Kanzleramtsminister Seiters reisen nach Prag und verkünden die Ausreiseerlaubnis für die Botschaftsbesetzer. In verriegelten Sonderzügen werden einige tausend DDR-Flüchtlinge über das Territorium der DDR in die Bundesrepublik gebracht.


Feiern zum 40. Gründungstag der DDR, 4. bis 7. Oktober 1989

Die offiziellen Feiern begannen am Abend des 4. Oktober mit einem Großen Zapfenstreich am Mahnmal für die Opfer des Faschismus in Ost-Berlin. (Die Opfer des real existierenden, faschistoiden DDR-Staates waren mit „Opfer des Faschismus in Ost-Berlin“ wohl nicht gemeint.)
Erich Honecker redet. Er rühmt in seiner Jubiläumsrede die Errungenschaften der DDR und macht keinerlei Andeutungen, dass es in Zukunft Veränderungen der bisherigen Politik geben werde. Auf die Protestwelle und die Massenausreise aus der DDR geht er nur indirekt ein: »Die zügellose Verleumdungskampagne, die derzeit, international koordiniert, gegen die DDR geführt wird, zielt darauf ab, Menschen zu verwirren und Zweifel in die Kraft und die Vorzüge des Sozialismus zu säen«.

Gorbatschow besuchte die Feiern zum Gründungstag der DDR und erklärte auf die Frage eines Journalisten, ob er für die DDR angesichts der Proteste und Demonstrationen Gefahren sehe.: „Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren.“ Sein Sekretär machte abends in einer Pressekonferenz daraus den berühmten Satz: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“



Die Menschen schritten in den Demonstrationen voran, allerdings ganz anders, als die Parolen das "Fortschreiten" postuliert hatten.

Was geschah am 9. November?
9. November, 18.57 Uhr. In einer vom DDR-Fernsehen live übertragenen Pressekonferenz beantwortet Günter Schabowski, Mitglied des SED-Politbüros, die Frage nach Maßnahmen der Regierung gegen die Ausreisewelle mit den Worten: »Etwas haben wir ja schon getan. Ich denke, Sie kennen das. Nein? Oh, Entschuldigung. Dann sage ich es Ihnen.« 

Von einem Zettel liest er daraufhin stockend jenen Beschluss des DDR-Ministerrats vor, der in aller Welt wie eine Bombe einschlägt: »Privatreisen nach dem Ausland können ohne Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden… Die zuständigen Abteilungen Pass und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen.« Auf die Nachfrage eines Journalisten, ab wann dieser Beschluss gilt, antwortete Schabowski stockend: „ Ja, ich denke ab sofort.“

Bundestag unterbricht Debatte

20.20 Uhr. »Ab sofort können DDR-Bürger direkt über alle Grenzstellen zwischen der DDR und der Bundesrepublik ausreisen.« Als diese Eilmeldung der Nachrichten-Agenturen das Parlament in Bonn erreicht, unterbricht Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth die Sitzung.

21.00 Uhr. In Ost-Berlin wartet eine unüberschaubare Menschenmenge vor den Kontrollstellen in der Invalidenstraße, der Sonnenallee und der Bornholmer Straße darauf, in den Westen durchgelassen zu werden. Wer Reisepapiere besitzt, wird sofort abgefertigt.

Per Trabbi Richtung Westen

22.00 Uhr. Tausende von DDR-Bürgern steuern mit Trabants und Wartburgs auf die Grenzübergänge zu. Die Abfertigung vollzieht sich nur schleppend.

Brandenburger Tor ist offen

23.14 Uhr. In Ost-Berlin gibt ein Hauptmann angesichts des ungeheuren Menschenandrangs den Befehl, die Schlagbäume zu öffnen. Tausende stürmen auf Westberliner Gebiet. An den Sektorengrenzen spielen sich bewegende Szenen ab. Fremde fallen sich weinend um den Hals. Jubelnde Westberliner bilden ein Spalier für die DDR-Autos. Auf beiden Seiten des Brandenburger Tors versammeln sich Tausende von Menschen. Unbehelligt von der Grenzpolizei überwinden sie die Absperrungen und klettern auf die Mauerkrone.




Von 1986 bis 1988 besuchte ich regelmäßig meine Freundin Michaela in Ost-Berlin. Was ich da morgens und nachts (um 24 Uhr musste ich immer draußen sein) an der Bornholmer Str. an menschenverachtenden Aktionen von jungen Stasi-Grenzschnöseln gegenüber West-Rentnern und Ost-Berlinern erlebte, kann ich nie vergessen.

Sicher werde ich mir in den nächsten Wochen die SPIEGEL-Dokumentation oder andere Filme über diese unglaublichen Ereignisse im Herbst 1989 ansehen und mich wieder freuen.

Manfred Spies




(kursive Textteile wurden zitiert aus www.chronik-der-mauer.de)

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