Dienstag, 21. Juli 2015

Schnorcheln und Bomben-Terror

Als ich meine Frau Luck als meinen Guide für eine Reise durch Thailand kennenlernte, wollte ich natürlich auch die mitgebrachte Ausrüstung zum Schnorcheln im "Paradies für Schnorcheln und Tauchen" nutzen. 
Ich hätte den ganzen Kram zu Hause lassen können: In Thailand gibt es nur an sehr wenigen Stellen KEINE Sandstrände. An diesen ist die Sichtweite im Wasser unter einem Meter. An den anderen Stellen, die wir besuchten (Koh Samui, Krabi..) muss man mit dem Boot lange raus fahren. Da kommt man dann an Tauchplätze, an denen die Schnorchler sowieso wie 2.Klasse-Planscher behandelt werden. Und für ein paar Weichkorallen, Seeanemonen und hin und wieder bunte Fischlein lohnt die Mühe nicht. Mit dem Betrachten von Korallenriffen und Fischschwärmen an den "Paradisen für Taucher und Schnorchler" war also nix.

Als Luck, die ich sofort als erste Frau in meinem Leben heiraten wollte, zu einem Besuch nach Deutschland kam, wollte ich ihr die Unterwasserwelt von ihrer wirklich paradiesischen Seite zeigen. Luck konnte kaum schwimmen, wie die meisten Thais. Wir kauften also die Ausrüstung und übten zweimal in der Woche im Schwimmbad des Ramadan-Hotels in unserer Nähe. Es klappte prima, Luck konnte nach der kurzen Zeit einer liebevollen Unterweisung, die ihr jede Angst nahm, sogar abtauchen und Druckausgleich machen.

Bisher war ich als Schnorchler (als Diabetiker ist Dive riskant und ich will es auch gar nicht) im Mittelmehr, auf den Malediven, in der Karibik auf vielen Inseln, am mex. Golf, und auf Kuba, den Seychellen, an verschiedenen Stellen des Roten Meeres und eben in Thailand gewesen. Meiner lieben Luck wollte ich meinen Lieblingsort zeigen, an dem sich auch für wirkliche Anfänger ein Paradies öffnet: DAHAB am Golf von Akaba. Keinesfalls wollte ich als unverbesserlicher Individualist in die Tourie-Tummelplätze Sharm oder Hurgada.

Ausgesucht hatte ich eine dreiwöchige Reise. Sehr preiswert waren die Flüge von Amsterdam aus. Kurz vor der Buchung zum Abflug am Samstag, 22.4.2006 von Amsterdam nach Sharm el Sheich diskutierten wir über die Belastungen, bei Hin- und Rückreise nach Amsterdam zu fahren, Gepäck zu schleppen und Taxi fahren zu müssen. "Alles Quatsch" sagte ich zu Luck, "das Leben ist schön. Zahlen wir etwas mehr und fliegen von Düsseldorf ein paar Tage später, also am 26.4.2006". Kein Problem, man kann das Hotel auch ganz leicht umbuchen.

Am Montag, 24.4 2006 packten wir tagsüber testweise unsere Koffer, prüften das Gewicht und konnten noch Küchenartikel, Müsli, Schwarzbrot u.a. Lebensmittel für die Selbstversorgung einpacken (damals gab es in keiner einzigen Dahab-Herberge außer einem kleinen Kühlschrank so etwas wie eine Miniküche, Bestecke, Tassen und Teller usw.. Heute gibt es sogar Mikrowellenherde in den Zimmern.)

Abends sahen wir in den Spätnachrichten starren Auges Berichte über Bombenanschläge in Dahab am gleichen Abend. Drei Bomben, Verwüstungen, viele Tote. 


Wenn ich in den vergangenen Jahren in Dahab war, ging die Sonne gegen 18 Uhr hinter den Berges des Sinai unter, man duschte sich und ging das kurze Stück in die Stadt zum Einkaufen und eventuell zum Essen. Immer war ich um 19 Uhr im Ghazala-Supermarkt um Gemüse Brot und Obstsäfte zu kaufen. Danach schlenderte ich über die neu gebaute Brücke zum Essen im Al Capone oder einem anderen Restaurant an der Uferpromenade.
Die erste Splitterbombe explodierte um 19.15 Uhr vor dem Supermarkt. Wenige Minuten später detonierten die Sprengsätze an der Brücke und vor dem Al Capone-Restaurant.

die Brücke und dahinter das Al Capone

Am Montagabend und am Dienstag den ganzen Tag fragte ich mich in Düsseldorf, wie man das nennen soll, dass wir am Leben waren, weil wir umdisponiert hatten. Schutzengel? Schicksal? Glück? Karma?
Bleischwer saß ich auf dem Küchenstuhl und zählte mit hängendem Kopf: Das war das achte Mal, dass ich dem Tod über die Sense gesprungen war. An die erste Situation kann ich mich nicht erinnern, da war ich drei Jahre alt und rettere nicht nur mir, sondern der ganzen Familie das Leben. An die zweite Situation erinnert mich eine Narbe an meinem linken Unterarm. 
Als die Polen nach der Kapitulation in unser Städtchen kamen, die Erwachsenen ins Klo sperrten und die Wohnungen nach Brauchbarem durchsuchten, fanden sie bei uns fast nichts. Verärgert streuten sie Rasierklingen in die Kinderbetten und verließen das Haus. Meine Eltern traten die Türe ein und stürmten ins Schlafzimmer. Sie fanden die Kinder schlafend aber blutend. Meine Narbe von der in meinem Arm steckenden Rasierklinge ist weniger als einen Millimeter parallel neben der Pulsader. 
Und solche lebensrettenden Situationen durfte ich bis Montag, 24.April 2006 inclusive achtmal erleben. Unfassbar. Unerklärlich. Fast unwirklich.

Die ersten Tage nach unserer Ankunft in Dahab waren kein Urlaub. Der Anblick der Explosionsorte war schwer zu ertragen, wenn man an die Umstände, an die vielen Toten und das Leid der Familien dachte. Ich war unruhig und immer unterwegs, beobachtete, fotografierte und redete. 

Vor dem zerstörten Haus sieht man mitten auf der Straße den Explosionsort






Die Urlauber hatten fast alle die Flucht ergriffen, die ausländischen Mitarbeiter der Tauchschulen standen unter Schock, weil sie zum Teil sofort in den Ort gerast waren und geholfen hatten. Den Ägyptern waren kaum vernünftige Sätze zu entlocken. Man blieb unter sich. Man suchte natürlich Schuldige. Hass auf die israelis und dann auf die Amerikaner mischte sich mit irrationaler Distanzierung von den Beduinen (die tatsächlich die Täter waren, wie sich anhand der Leichenfunde später herausstellte.*)


leere Stühle überall, die Einheimischen flehten verzweifelt,  "VISIT DAHAB"

Tagelang trafen sich die Betroffenen, kondolierten und redeten miteinander.


Die Polizei und die Verwaltung hatte noch am Tatabend mit der Feuerwehr die Blutspuren und damit auch alle anderen Spuren beseitigt. Es wurde aufgeräumt und sofort repariert, wenn etwas zu reparieren war. In den Geschäften und vor den Restaurants wurden wie verzweifelte Hilfeschreie Peace-Schilder und -Plakate aufgestellt. Als Hippie-Ort war Dahab schon lange bekannt. Man holte alle Peace-Shirts aus den Kartons und hängte sie ins Fenster. Rührend, aber das berührt nicht die Ursachen. 

Noch als wir zwei Tage nach den Explosionen in Dahab waren, wurden die Straßen vom Blut gereinigt.







Der Tod des zehnjährigen deutschen Knaben erschütterte des ganzen Ort.

Seit langem hassen die Beduinen die Ägypter, weil sie sich einverleibt fühlen, weil sie ihrer Freiheit beraubt und sesshaft gemacht wurden. Wie überall in der Welt können aus einer solchen Gruppe zutiefst Unzufriedener einige für hassvollen Widerstand und Terror gewonnen werden. Das hat am Sinai Geschichte:

Am 7.10.2004 starben bei einem Bombenanschlag in Taba (Sinai, Golf von Akaba) 34 Menschen,
am 23.7.2005 starben bei einem Bombenanschlag in Sharm el Scheich (Sinai, Golf von Akaba)  66 Menschen,
am 24.4.2006 starben bei dem Bombenanschlag in Dahab (Sinai, Golf von Akaba) 22 Menschen.
Danach gab es zweimal Regierungswechsel in Ägypten. Ruhe vor dem Sturm? Inzwischen gibt es überall auf der Welt islamistische Radikalisierungen und es ist in vielen Fällen der IS, der dahinter steckt. Geheimdiensten zufolge haben sie schon ihre Füße auf den Sinai gesetzt. In diesem Sommer konnte man in der Weltpresse lesen, dass es bei aktuellen Anschlägen auf dem Sinai bereits hunderte von Toten gegeben hat.
 "In Ägypten steht insbesondere der Sinai im Visier von Islamisten. Hunderte Polizisten und Soldaten wurden dort in den vergangenen Monaten getötet."(Juli 2015)
http://www.krone.at/Welt/Anschlagsserie_auf_Sinai-Halbinsel_Ueber_100_Tote-IS-Terror_in_Aegypten-Story-460449

Und der IS-Anschlag von heute in der Türkei, die ja eigentlich als IS-Unterstützer im Kampf gegen die Kurden gilt, zeigt eine beängstigende Entwicklung.

In der letzten Meldung wird betont, dass sich die Anschläge zunehmend gegen das Militär und die Polizei richten. Für Urlauber also keine Gefahr? Das ist natürlich Unsinn.
Aber wir gehen trotzdem im Oktober noch einmal an diesen wunderbaren Ort mit seiner hoffentlich immer noch intakten, stillen und friedlichen Unterwasserwelt. Natürlich buchen wir kein Riesenhotel und gehen auch keinesfalls zur Rush-Hour in die Stadt. Und wir gehen zu den Menschen in Dahab, die wir als freundlich, hilfsbereit und lebensfroh in Erinnerung haben. Und wir gehen natürlich auch noch einmal an den Ort, von dem uns vor fast zehn Jahren ein paar unerklärliche Umstände fern gehalten haben und damit am Leben ließen. Luck wird beten, ich werde nachdenken.

Manfred Spies, Dienstag, 22.Juli 2015


* Zuerst wurden von der Bevölkerung und von den Verwaltungen die Täter im Ausland gesucht. (Das erinnert an viele Fälle in anderen Ländern, so auch bei den Koh Tao-Morden in Thailand.Nicht nur bei Verkehrsunfällen, auch bei Morden sucht man gern die Täter bei den Ausländern.)
Dann wurden abgestellteTüten mit ferngezündeten Bomben favorisiert. Letztlich fand man aber abgetrennte Köpfe, die auf am Körper getragene Sprengsätze deuteten. Ich habe einen der Explosionsorte fotografiert. Mitten auf eine belebte Straße stellt niemand einen Sprengsatz und haut dann ab! Die Täter kamen aus dem Ort. Man ködert solche Leute, die sowieso Extremisten sind, mit Paradiesversprechen und vielem Geld für die Hinterbliebenen.




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