Samstag, 15. April 2023

Gerhard Richter antwortet nicht

Lieber Gerhard Richter,

mein Name ist Manfred Spies. Ich schreibe Ihnen aus Thailand, weil ich mit meiner Frau auch aus finanziellen Gründen ausgewandert bin und hier für etwa ein Drittel des Geldes lebe, das ich in Deutschland brauchen würde. Warum ich keine Rente und andere Sozialleistungen beanspuchen kann, schreibe ich in einem Anhang, weil Sie das nur nebenbei interessieren dürfte.


Einladungskarte



Ich habe Sie kennen gelernt, als ich auf Bitten von Sigmar Polke die Ausstellung des "Kapitalistischen Realismus" auf der Kaiserstr. 31a am 11. Mai 1963 in Düsseldorf fotografierte. Ausgestellt haben Sie, mein Schulfreund Sigmar Polke, Konrad Lueg und Manfred Kuttner. Die Einladung bekam ich von Sigmar und ich habe sie verwahrt. Ich habe damals nicht gesagt, ich möchte von jedem ein kleines Bild. War ich zu hilfsbereit oder zu dumm? In den etwa zwei Stunden habe ich Bilder und Besucher fotografiert. Später kam auch Beuys und man saß am Fenster auf der Erde und trank Rotwein. Ich machte eindrucksvolle Fotos. Ich erinnere mich an Ihre schwarz-weissen Bilder, in denen blutige Stellen an den in die Leinwand geschnittenen Stellen die einzige Farbe waren.

Später fragte mich Sigmar in der Uel, ob ich ihm den s/w-Film ausleihen könnte. Sie wollten sich gemeinsam alles ansehen und Abzüge machen lassen. Also konnte ich nicht sagen, "Ich kann das in meiner Dunkelkammer selbst machen," weil ich ja nicht wissen konnte, was die drei interessiert. Nach einem halben Jahr bat ich Sigmar in der Uel um Rückgabe der Negative. "Ach, das ist so lange her. Ich wohne mir Achim Duchow zusammen. Bei uns ist alles chaotisch und ich finde das nicht mehr. Manfred, das ist Vergangenheit. Nur die Zukunft ist wichtig." Später gestand mir Sigmar nach einem langen Bierabend, dass Sie diese und andere Bilder nicht mehr mochten und im Hof der Akademie verbrannten und alle Erinnerungen an die Ausstellung vernichtet haben. Der damalige Wunsch nach meinen Negativen kam nach Aussage von Sigmar Polke von Ihnen. 
Sich von Arbeiten zu trennen, die man selbst nicht mehr mag, ist legitim. Ich war nicht wütend, nur traurig, zumal ich in allen späteren Büchern, die ich von Ihnen kenne, keine Fotos dieser ersten Ausstellung sah. Abgesehen davon: Können Sie sich vorstellen, was ich in den letzten 60 Jahren an Honoraren für Veröffentlichungen hätte sammeln können? Ich hätte davon profitieren können, dass Sie mit voller Berechtigung heute  der beste (teuerste) Künstler der Welt sind. Über meine Wertschätzung Ihrer Arbeiten schrieb ich schon vor fast 40 Jahren, als ich viel über "Kunst kommt von Verkaufen" und "Kunst kommt von Kennen" schrieb und veröffentlichte. Bis heute kommt in den Kunstdefinitionen nie das Wort "Kreativität" vor. Die fand ich vor allem bei Picasso und bei Ihnen. Sie legen sich selbst nicht fest, probierten immer Neues und überraschten alle. Und das auch mit sehr hohem KÖNNEN. So kann man Kunst definieren. Ich will nicht über andere Kollegen herziehen. Aber als ich sah, wie ein Kollege Nägel in Objekte schlug und damit die Objekte in Bewegung brachte, fand ich das eine neue, großartige Idee, die dazu perfektes Können auszeichnete. Aber 50 Jahre lang? Und sogar plastische Objekte auch noch als Auflagendrucke 2002 verkaufen usw. usw. usw. ist "Kunst kommt von Verkaufen".

Ich komme zu meiner Frage: Nie habe ich mich Kolleginnen und Kollegen mit Ansprüchen oder gar gierig genähert. Aber heute bin ich in Not, weil ich zum Leben und wegen einer OP Geld brauche, das ich nicht habe. Es ist mir völlig egal, wie reich Sie von Randing-Listen und Forbes-Spezies eingeschätzt werden. Ich stelle nur eine Frage von Mensch zu Mensch, denn als solchen schätze ich Sie ein. Ich habe einige Sendungen in TV über Sie gesehen und auch Ihre Kunstmarkt-Kritik und Zweifel am Selbstbild der Künstler von Ihnen gelesen. Insofern fühle ich mich ganz nah bei Ihnen, wenn Sie mir das digital gestatten.

Ich habe damals etwas für sie drei getan. Sigmar, Konrad und Manfred sind tot. Sie leben und wenn es Ihr Karma zulassen würde, sollten Sie noch viele Jahre weiter leben. Wenn ich sehe, wie Sie heute einen über 2 Meter langen mit kiloweise Farbe bestrichenen Rakel exakt vertikal ansetzen und gleichmäßig über eine meterlange Leinwand ziehen, ist das rein physisch bewundernswert. 
Ich war auch noch vor wenigen Jahren total fit. Jetzt steht Freund Hein an der Türe und nur ärztliche Hilfe kann mich weiter lebenswert leben lassen.  Als ich mit meinem Zeichenblock und der Kamera ein besonderes Bild in einem Tempel machen wollte, hatte ich einen Treppensturz. Seitdem bin ich mit meinem Rollstuhl seit Jahren in meinem Atelieraum gefesselt und warte auf einen OP-Termin. Das Hospital wird 19.000 € berechnen.
 Was denken Sie? Ich habe damals geholfen und meine Fotos sind weg. Ich bitte Sie ganz herzlich, über den heutigen Wert meiner Negative und was ich damit in den letzten 60 Jahren hätte machen können, nachzudenken. Alles überrlasse ich Ihnen, aber ich frage und bitte Sie.

Mit großer, ehrlicher Bewunderung und lieben Grüßen
Manfred Spies

Thailand, Pak Chong, 22.10.2022

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ANHANG:
Als ich 1953 chronisch krank wurde, gaben mir später Prof. Oberdisse in der Uniklinik, Ärzte In der Diakonie und mein Hausarzt eine Lebenserwartung bis 50. Da zahlt man nicht in eine Rente oder eine LV ein. Ich habe trotz eines prallen Lebens alle Prognosen überlebt. Jetzt gehen trotz eines sehr sparsamen Lebens mit etwa 750 € monatlich im preiswerten Thailand die Ersparnisse zur Neige.

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