Mittwoch, 24. Februar 2021

Last Sunset (short story)

Der alte Mann packte für einige Tage ein paar Sachen, nahm seinen batteriebetriebenen CD-Player und die Kopfhörer und fuhr in einen stillen Ort an der Andamanensee. Er kaufte ein kleines Schlauchboot mit einem 7PS Elektromotor. Die Thai wussten: Wenn er abends mit seiner Musik in die Dämmerung schipperte, sah er am nächsten Morgen beim Frühstück glücklich aus.

Aus seinem Heimatort im Isaan hatte sich der Mann einen Unkrautvernichter und die gleiche Menge Puderzucker besorgt und damit eine 2kg-Bombe mit Zeitzünder gebastelt. An einem wunderbaren Spätnachmittag packte er eine Flasche Roten, Käse, Weintrauben und Baguette neben den Bootssitz, ganz vorne wurde die Bombe verstaut, in der Bootsmitte zwei Sandsäcke mit Schnüren. In einem kleinen Beutel hatte der alte Mann ein Fläschchen mit 40 aufgelösten Valium10-Tabletten, einer Insulinampulle und einer Einmalspritze.

Er schob guter Dinge das Boot ins Wasser, stieg ein, paddelte ein wenig und lies den leisen Motor an. Er lehnte sich zurück, steckte sich die Kopfhörer in die Ohren und machte den Roten auf. Welch ein Genuss, der Nachmittagssonne entgegen zu steuern, die wie eine dicke Orange am Himmel hing. Der alte Mann lächelte. Sunset. So hatte er sich das immer vorgestellt. Ganz allein der Sonne entgegen, danach würde es keine Spuren von ihm geben.


Der Strand war schon weit weg, die See spiegelglatt. Käse, Trauben und Brot schmeckten, dazu der Wein - einfach köstlich! 

Die Sonne war groß und glühend abgesackt und stand wie in einem Gemälde aus warmer Farbenpracht, über ihr wölbte sich die Unendlichkeit in einem violetten Blau.


 Der Mann band sich jetzt die Sandsäcke an die Füße und trank das Fläschchen mit der milchigen Flüssigkeit. Danach etwas Käse und einen Schluck Wein. Zuletzt kramte er die Ampulle und die Spritze aus dem Beutel und gab sich die Überdosis in den Beinmuskel. Er hatte „A Day in the Life“ von Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band gehört, jetzt passte gut Pink Floyd mit „Wish you were here.“ Er lächelte.


Als das letzte Stückchen der roten Scheibe am Horizont ins Schwarz getaucht war, schlief John und atmete tief. Sein Kopf ruhte seitlich etwas abgeknickt gegen die Paddel gelehnt, die fast leere Weinflasche lag in seinem Schoß. Er machte einen beneidenswert entspannten Eindruck. Der Motor surrte immer noch leise und die Sterne funkelten. 


Sunset war vorüber und in zwei Stunden würde in dieser Nacht eine kleine Bootsfahrt mit einem dumpfen Knall zu Ende sein. Das würde der alte Mann alles nicht mehr hören.



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Da sitzt er nun, alt und auf Hilfe angewiesen. Glücklich wollte er sterben. Und nun ist er lebendig aber tot-unglücklich.

Die Dokumente und Papiere sind geordnet, die Bilder sind gemalt, der Band mit den Kurzgeschichten „Sterne und Steine“ war ein Erfolg und das Buch über seine Lebenswege mit den Kapiteln „Krabbelm. Gehen, Rennen, Stolpern, Kriechen“ ist fertig geschrieben.


Seiber tropft ihm aus dem Mundwinkel, der Arm und das Bein sind gelähmt, im Internet las er angeekelt von neu entwickelten Monatswindeln. In Europa werden tausendfach Roboter in der Altenpflege eingesetzt, in Thailand macht das die Familie mit der ihr eigenen Art der Zuwendung. Als die Schwägerin beim Füttern zu ihm sagte, „Ein Löffelchen für die Mama, ein Löffelchen für den Papa…“ schlug er ihr das Besteck aus der Hand.


Er ist bei klarem Verstand, seine Sinne funktionieren hervorragend. Das empfinden andere als Belästigung. Ein logisch denkendes Baby, das unbequeme Wünsche äußert, passt nicht ins Pflegeschema. Und warum sprechen die Pflegenden immer so laut mit den Kranken? „Wie geht es uns denn heute?“ wird ins Zimmer gerufen, als wenn der Kranke im Haus gegenüber liegen würde. Wenn der alte Mann antwortet, „Mir geht es gut, wie es dir geht, weiss ich nicht“, spürt er beim Waschen die Rache. 

Er fantasiert sich in eine Welt, in der von anderen sein Körper aufgefüllt und entleert wird.


Sein ganzes Leben wälzte er Pläne, sein ganzes Leben war er selbstbestimmt gegangen und gestolpert. So war es bis zuletzt geplant. Jetzt wird er als Behinderter am Ende gehindert.


Vor 40 Jahren saß er auf einem Felsen am Meer und beobachtete den Sonnenuntergang. Es war einer seiner Momente absoluten Glücks. Der Himmel, die Erde, die Natur und er waren eins. Er sah den Sonnenuntergang nicht, er fühlte ihn, er erlebte ihn. 

Damals schrieb er seine Traum-Geschichte über einen Sunset.


Warum lasst man ihn jetzt nicht in Ruhe und würdevoll sterben? Warum musste und durfte er sein Leben immer selbst bestimmen, aber seinen Tod nicht?

Warum ließ man ihn am Ende unglücklich und - wie er es empfand - qualvoll „ver-enden“?


Er könnte, wenn man ihn mit seinem elektrischen Rollstuhl durch die Stadt schiebt, auf den Gashebel drücken und unter einen LKW rasen. Aber das würde weh tun, und das war nicht seine Idee.


 Er liest seine Geschichte von vor 40 Jahren nicht mehr. Das Lesen machte ihn jetzt nur traurig, er ist hoffnungslos und lässt sich weiter füttern.


© Manfred Spies

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