Samstag, 5. November 2011

Thailand-Short-Story 1: Sot

Der kleine Bach an der Pimparam Road war noch vor zwei Tagen eine Attraktion. Heftige Monsunschauer hatten ihn anschwellen lassen bis knapp an den Rand der Böschung. Hunderte Schaulustige standen auf der kleinen Brücke und warteten gierig darauf, dass sich erste Rinnsale und danach ganze Sturzbäche auf die schmale Strasse und dann hinunter ins Dorf ergießen würden.
Heute versteinert die brennende Sonne wieder das lehmige Ufer und unter der Brücke fließt cremig ein brauner Brei.

Der Imbiss der „Drei Schwestern“ döst in der Mittagshitze und nur dünne Rauchschwaden des Grills deuten auf gastronomische Tätigkeiten. Klaus der Tramper ist der einzige Gast. Er kommt jeden Tag. Das Essen ist immer frisch. Ländliche Thai-Küche und preiswert. Außerdem mögen den sportlichen Mann mit den hellen Augen, den langen, braunen Haaren und den Lachfalten um die Augen nicht nur die drei Schwestern. Die kleine Hündin Sot läuft ihm oft entgegen, wenn er mit seinem Fahrrad vom Dorf herauf zur Brücke fährt.
Klaus angelt sich aus dem auf dem Nachbartisch stehenden Gewürzkörbchen Fischsoße und Chili für seine Nudelsuppe. Die Schwestern beobachten ihn kichernd. Dieser Farang würzt sich die scharf zubereiteten Speisen noch nach!
Die auf der Strasse herum lungernden Straßenunde streiten sich um die Knochen, die Klaus ihnen zuwirft. Sot, die immer an seine Beine geschmiegt auf seinen Füßen liegt, will keine Knochen. Nur seine Nähe und das Kraulen seiner Hand an Nacken, Brust und Bauch. Die Schwaden der benachbarten Imbisse hängen wie blaue und gelbe Säcke in der Luft. Kein Windhauch verweht die Abgase der vorbeirollenden Lkw, Pickups und Motorräder.

Klaus wischt sich mit dem auf dem Tisch stehenden Klopapier Mund und Hände ab und zahlt. Er streichelt liebevoll Sot, packt seinen Rucksack und schwingt sich auf das Rad. Als er auf der Brücke ist, hört er Tawan. die Besitzerin von Sot, nach ihm rufen. Er stoppt und dreht sich um. Sot rennt mit seiner Mütze im Maul hinter ihm her. Der von rechts kommende Motorradfahrer winkt dem Mädchen an einem Imbistsand und ruft ihe etwas zu. 
Sot ist sofort tot. Die Yamaha war schnell und schwer.

Der gellend schrille Schrei des Deutschen läßt die ganze Umgebung für Sekundenbruchteile wie von einem Blitz aufgrellen. Alle reißen die Augen auf und stehen erstarrt.
Klaus wirft sein Rad auf die Strasse und rennt zu der leblosen Hündin. Immer wieder sagt er ganz leise ihren Namen. Der gestürzte Fahrer betrachtete seinen abgeschürften Ellenbogen und trottete auf den Flüsternden zu. Als Klaus seine Alkoholfahne riecht, legt er Sot vorsichtig auf den Boden, richtete sich auf und schlägt dem Fahrer mit der flachen Hand ins Gesicht. Blitzschnell folgt ein schwerer Hieb in den Magen. Als sich der Andere krümmt reißt ihn Klaus an den Haaren und knallt das Gesicht auf sein Knie. Der Mann fällt blutend zur Seite. Klaus packt das Motorrad und rollt es an die Böschung, brüllt Flüche und Verwünschungen in seiner Landessprache und lässt die schwere Machine hinunter in die lehmige Brühe fallen.

Neugierige, Erstaunte und Fassungslose stehen schweigend in einiger Entfernung. Die Besitzerin von Sot wäscht und verbindet den blutenden Fahrer. Klaus sitzt zusammengesunken mit dem toten Hund auf seinem Schoss vor der Türe des Imbisses. Als der rote Toyota vorfährt, zieht er seinen Ausweis aus der Brusttasche und gibt ihn wortlos und ruhig den uniformierten Männern.


 © Manfred Spies

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen