Dienstag, 19. November 2019

Fotografie: Portraits

Fotos machen kann heute jede(r). Ob die Bilder erfreuen und bereichern wie ein warmer Regen, oder ob sie wie eine lehmige, allen Müll mitschleppende Flut wirken, wird ein Laie anders bewerten als die Fachleute. 
In meiner dreiteiligen Serie werfe ich einen subjektiven Blick auf einen Bereich der Fotografie, der stellvertretend ist für andere Fotothemen, weil wir ja alles mit den gleichen Augen betrachten. Mein Thema hier ist das Portrait.

Andy Warhol hat vor über 50 Jahren gesagt, in Zukunft wird jeder 15 Minuten berühmt sein können. Das versuchen jetzt alle mit Milliarden von Selbstportraits im Web. Jede(r) macht sich seine eigene Bühne. Facebook, Instagram usw. ermöglichen die einfache, kollektive und hygienischste Art der Selbstbefriedigung. 
Doch davon wende ich mich ab und suche nach Bildern, die nicht nur Gesichter zeigen, wie sie auch ein Passbildautomat machen könnte. Ich schlage nicht nach bei Shakespeare, sondern suche bei google und finde lange Listen der „10 besten Portraitfotografen“. 

Deutschland

International

Fotografen auf Instagram


Fotografen mit Web-Aufrufen und Follower

Werbetexte für Canon

Liste der "Top Ten", die kaum jemand kennt


Na so was! Da gibt es in dem einen Artikel 10 Namen, die in anderen Artikeln gar nicht vorkommen! Da sind wohl klare Interessen bei den Machern der Listen im Spiel.
Aber auch in den Listen, die man als professionell bezeichnen kann, fehlen die Namen der Pioniere, der Koryphäen, von denen alle anderen gelernt haben.


Listen, in denen viele Berühmtheiten nicht vorkommen.



Wer suchet der findet...


Da ist z.B. Yousuf Karsh , der allen Berühmtheiten ins Gesicht und bei seinen Fotos hinter die Fassade schaute. Dabei legte er Wert auf Schärfe und wollte nicht schmeicheln. 
Er selbst schrieb 1967: “In jedem Menschen ist ein Geheimnis verborgen und als Fotograf ist es meine Aufgabe, dieses gemäß meinen Fähigkeiten zu enthüllen. Diese Enthüllung, so sie denn gelingt, wird sich im Bruchteil einer Sekunde in einer unbewussten Geste, einem Schimmern des Auges, einem kurzen Anheben der Maske, die alle Menschen tragen um ihr ureigenes Selbst vor der Welt zu verbergen, offenbaren. In diesem Augenblick der Möglichkeit muss der Fotograf handeln oder er verspielt seine Chance.”

Warum kommt er in keiner der Top-Listen vor? Warum werden auch andere gar nicht genannt? 
Mit diesem Portrait wurde Karsh berühmt.
Es öffnete ihm für alle späteren Arbeiten die Türen.

Späteres Portrait von Churchill

Einstein

Castro

Hemmingway

Albert Schweitzer

Sumerset Maugham

Betty 1930

                                                              *****************

Prof. Otto Steinert, Lehrer an „meiner“ Folkwang-Hochschule in Essen, begründete die „subjektive Fotografie“. Vergessen?

Prof. Otto Steinert


Zu meiner Studienzeit war Lord Snowdon (Robert Armstrong-Jones) nicht nur Englands bekanntestes Fotograf, weil er 18 Jahre mit Prinzessin Margret verheiratet war. Er war auch Vorbild. Seine Bilder entstanden fast nur s/w bei Tageslicht und „life“, d.h. selten gestellte Situationen. 


Die drei Bilder seiner Frau zeigen die unterschiedlichen Charaktere. Das sind Potraits!

Vladimir Nabokov von Snowdon


Will McBride war der wichtigste Fotograf des Kulturmagazins unserer Generation: twen. Engagiert wie er war, veröffentlichte er zusammen mit dem Sexualwissenschaftler Helmut Kendler den Bildband „Zeig mal“, der ein Skandalbuch wurde und zu mehreren Verbotsanträgen führte. In den USA ist der Besitz den Bildbandes nach wie vor verboten.


Romy von Will McBride

Tony von Will McBride


Ebenso wie McBride arbeitete Thomas Höpker für twen bevor er vom „stern“ engagiert wurde. Er ist sicher einer der absolut wichtigsten Impulsgeber der deutschen Fotojournalisten. „Höpkers Bildsprache seines Fotojournalismus ist von Humanismus geprägt, was heute geläufiger ist unter dem Begriff der «concerned photography». Oft in den Elendsgebieten der Welt im Einsatz, ging es ihm nie um die plakative Zurschaustellung von Armut, Krieg und Hungersnöten. Sein Kennzeichen sind subtile Bilder, ohne dabei die Abgebildeten bloßzustellen.“ (Wiki)

Thomas Höpker

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Es gab Zeitschriften wie „Kristall“, „Bild der Wissenschaft“, „Epoca“ und „stern“, die Wert auf gute Fotos legten. 1976 kam „Geo“ dazu, „Die Welt mit anderen Augen sehen“. Es gab deutsche und internationale Foto-Jahrbücher und den World Press Photo Award, den damals auch mein Studienfreund Peter Thomann (später „stern“) gewann. Zu meinem Bekanntenkreis gehörten auch Berühmtheiten wie Reinhart Wolf („New York“) und die Werbefotografen Charles Wilp und Lothar Wolleh. Damals alles Stars. Vergessen?

Peter Thomann, World Press Photo Award

Reinhart Wolf Bildband

Fantastisches Beuys-Portrait von Charles Wilp

Lothar Wolleh: Niki de St. Phalle


Niemand von denen taucht in den Top-Listen auf. Warum? Schnelllebige Zeit? Mangelnde Wertschätzung? Auf diese Fragen möchte ich in den folgenden Beiträgen Antworten versuchen.

Und damit bin ich eigentlich schon mit meinem Thema durch. Das Internet als riesiges Lexikon bietet jedem, der sich interessiert, alle Möglichkeiten der Information über Portrait-Fotografie, und jede(r) kann sich, wenn er Interesse hat, seine Lieblings-Listen selbst zusammenstellen. Und sie/er kann auch Tips bekommen und lernen - wenn sie/er will. Da wir aber in einer immer bequemer werdenden Welt immer fauler werden, bin ich skeptisch, was das Lernen angeht. Wir nehmen und selbst wichtiger als das, was um uns herum ist.





Selbstportraits gab es schon immer. Psychologisch sind sie aber ganz anders zu deuten, als heutige Selfies, die eine tägliche Selbstinszenierung sind oder bei denen der abgebildete Hintergrund als Selbstwert-Steigerung in den sozialen Netzwerken die Hauptrolle spielt.

30 % der Jugendlichen gaben in einer Untersuchung an, mit ihren Selfies bekannt oder berühmt werden zu wollen. 26 Prozent machten sie täglich, 14 Prozent sogar mehrmals täglich. 

Eine Studie über Facebook-Nutzer aus dem Jahr 2013 ergab, dass das häufige Posten von Selfies mit schwacher sozialer Unterstützung korreliere und dass diejenigen, die oft Fotos von sich selbst hochladen, Probleme in ihren realen Beziehungen haben.



Im zweiten Teil meiner Serie über Portrait-Fotografie möchte ich mich mit dem Fotografen-Markt beschäftigen, der ganz ähnlich wie der Kunstmarkt funktioniert. Und ich möchte einen kleinen Test machen.

Der dritte Teil behandelt schließlich das, was für mich das Spannendste ist und wo sich die Geister scheiden werden: Fotografie und Fantasie. Vom Träumen, Sehen und Gestalten.

Manfred Spies
19. 11.2019


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