Krank in Thailand Nr. 9 (Kurze Report-Story)
In den letzten Jahren habe ich schon oft unter diesem Titel Erfahrungen positiver, aber leider viel häufiger negativer Art mitgeteilt. Wenn ich in staatlichen Krankenhäusern fotografieren dürfte, wären die Horrorberichte noch beeindruckender, wenn nicht „erdrückender“.
Ich erlebte nun schon zum wiederholten Mal, wie neben mir Patienten fast 20 Minuten lang mit rhythmischem Pressen am Leben gehalten werden sollten.Da bekommt das Wort „erdrückend“ eine ganz andere Bedeutung. Die Patienten kamen zusammen mit mir in die Notaufnahme, erklärten den Ärzten ihre Anamnese und waren kurz danach tot.
Heute war ich zur Blutabnahme für eine Laboruntersuchung im Nana-Hospital in Pak Chong. Ankunft 8 Uhr. Rollstühle nicht in Sicht. Eine Edelstahl(?)-Rollliege wurde herangeholt. Es fehlte die dünne Schaumstoffauflage und ich wurde in die Stahlwanne gebettet. „Werde ich jetzt sofort in die Pathologie gefahren?“ brülle ich und wälzte mich trotz meiner Behinderung aus der Wanne. Nach einigen Minuten bekam ich eine Art Rollstuhl-Ruine: Der Sitz war so tief, als wenn ich auf einem Nachttopf säße, die Polster der Armlehne fehlten und die klappbaren Fußstützen ließen sich nicht hochgeklappt arretieren. Der Versuch, einen Rollstuhl mit runter geklappten Fußstützen zu verlassen ist für einen Gehbehinderten eine akrobatische Herausforderung. Die Bremse war an einer Seite verbogen und Luck schob mich einseitig gebremst durch das Labyrinth der Gänge. Bei den Auffahrten neben den kurzen Treppen war das nur mit zwei Helfern möglich.
Der Stich in die Vene erfolgte um 9 Uhr. Auf dem Laufzettel stand „Laborergebnis 11 Uhr“. Wenn dann normalerweise der Arzt die Werte gesichtet und evtl. neue Medikamente verschrieben hat und wir diese in der Klinikapotheke besorgt hatten, war ein Mittagessen um 12 Uhr zuhause möglich. Aber heute holte Luck das Mittagessen von 7eleven und wir waren erst um 17.15 zuhause.
Das kam so: Angeblich war die Laborarbeit für mich sehr aufwendig, viele Werte und dazu noch Leber und Niere. Aber ein Diabetes-Langzeitwert wurde vergessen!
Ab 9 UHR verging viel Zeit, mein Warteplatz draußen in der Sonne wanderte mittags in den Schatten, die Ärzte machten Pause und nach einer Stunde um 13 Uhr sollten sie mit Futtern fertig sein.
Also rollten wir schließlich nach drinnen, wo noch weitere 30 Rollstuhl-Patienten mit unterschiedlichen Gebrechen auf die Aufrufe ihrer Nummern und ärztliche Hilfe warteten. Luck parkte mich in Corona-Abstand neben der Reihe und ging um die Ecke, weil sie da die Lautsprecher-Aufrufe besser hören konnte.
Ein weisshaariger alter Mann, der neben mir vor wenigen Minuten einem Arzt seine Probleme geschildert hatte, wische mit seiner erstaunlich gepflegten Hand über ein Smartphone. Ich las in meinem Taschenbuch, als mich ein klapperndes Geräusch aufmerken lies. Dem Weisshaarigen war das Handy aus der Hand gefallen und er saß nach vorne gebeugt. Ich verkürzte die eineinhalb Meter Abstand und tastete nach seinem Hals. Dann rief ich „HEELP! PROBLEM!“ Ich schildere das nur, um zu zeigen, welche Gründe es in Thai-Hospitälern - wohl bemerkt in staatlichen - für die zeitlichen Verzögerungen des Nach-Hause-Fahrens gibt.
Natürlich kamen nach und nach mehrere Ärzte, die sich mit dem heftigen Pressen (s.o.) abwechselten. Ich rollte mich in einen anderen Gang und wartete nicht das Herbeischaffen von technischen Geräten zur Reanimation ab. Mich ekelte auch an, wie sich plötzlich Lahme aus ihren Rollstühlen erhoben und ihre Handys bedienten.
Nachdem wir nach zwei weiteren Wartestunden von einer Ärztin erfuhren, wie unglaublich gut meine Werte sind, ging Luck mit ihrem Zettelkram zum „Pharmacy Department“, gab das Rezept ab und zog eine Nummer. Nach 45 Minuten wurde sie aufgerufen, bekam ein Pillen-Paket enormen Ausmaßes, das in keine übliche Hausapotheke gepasst hätte und zahlte vergleichsweise wenig für den ganzen Tag interessanter Eindrücke.
Nicht nur ich schrieb 2012 in einem Blog-Beitrag, sondern vor genau 20 Jahren spottete Günter Ruffert in seinem Buch „Farang in Thailand“, dass es „Bürokratie überall in der Welt gibt. Aber Thailand ist unangefochten Weltmeister.“ Wir kennen alle die sich jährlich wiederholenden Papiere zur Visa-Ausstellung. Hat schon mal jemand die gigantischen Ordnermengen in den Büros betrachtet? Ich fragte mal einen Beamten, wer in diese sich jährlich wiederholenden Aktenberge schaut. „Niemand.“ Der Mann war ehrlich. Einen ähnlichen Papieraufwand treiben im digitalen Zeitalter die staatlichen Hospitäler. Ich habe aufgehört, mich zu ärgern. Ich wundere mich nur, dass niemandem auffällt, welcher Schaden in Thailand durch die hunderte Milliarden verlorener Arbeitsstunden entsteht, weil man überall wartet, wartet, wartet…
Immerhin habe ich heute einen kleinen Sonnenbrand, meine Werte sind sehr befriedigend, ich habe sehr viele Menschen mit gewaltigen Leiden gesehen, was meine Probleme deutlich keiner erscheinen lässt und es gab einen echten Toten. Heute brauche ich abends keine TV-Ablenkung.
Manfred Spies, 8.12.2022
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