Verkrüppelte und pockennarbige Bettlerinnen und Bettler beobachtete ich nicht nur in Bangkok. Auch in unserer relativ kleinen Stadt sah ich diese abgemagerten, verkrüppelten Gestalten, oft zusammengekauert auf dem Boden hockend mit einem Spendenbecher vor sich oder im Mund, wenn es keine Arme gab.
Als ich nach Thailand kam und meine Frau Luck kennen lernte, zog sie mich immer weiter, wenn ich stoppen und etwas geben wollte. Ich fand das herzlos. In einem ruhigen Moment versuchte ich, mit ihr zu reden.
„Das sind doch ganz arme Menschen, die sind doch für umgerechnet einen haben Euro dankbar.“
„ Ob die arm sind, weisst du nicht.“
„Wie bitte? Schau sie dir an. Glaubst du, sie haben wohlhabende Verwandte?“
Meine Frau wollte damals nicht diskutieren. Sie murmelte etwas von „...weisst nicht, wer dahinter steckt.“
In Pak Chong saß am Ender der Gemüsehalle in dem von der Straße herein scheinenden Licht eine beinlose Frau auf dem Boden. Ihr Gesicht war von Narben zerstört, Ihre Hände verstümmelt. Wenn ich ihr etwas in den Becher gab, verneigte sie sich tief und legte die verkrüppelten Stümpfe aneinander. Nach einigen Monaten kannten wir uns und sie begrüßte den herannahenden Spender von weitem mit einem Lächeln.
Ich wollte mehr über sie wissen. Wie kommt sie dahin und wer holt sie abends ab. Muss sie auch mal tagsüber auf die Toilette? Für eine tagelange Observierung hatte ich weder Lust noch Zeit. Widerwillig redete Luck mit Losverkäufern und Händlerinnen in der Nähe der Frau. Ablehnung, kaum Antworten, Abschottung, als wenn man nach etwas Peinlichem gefragt hätte. Aber es ging nicht um Peinlichkeiten, es ging um etwas Gefährliches.
Wenn ich glaube, eine Spur zu haben, werde ich unerbittlich. Ich legte der Frau 100 Baht in ihren Becher und schlenderte davon. Hinter einer dicken Säule neben einem Blumenstand versteckt ich mich.
Die Frau bemühte sich, mit ihren verkrüppelten Fingern den Schein aus den Becher in ihre Schürzentasche zu befördern. Einige Minuten vergingen und ich aß eine Banane, als ein Mann auftauchte, den ich vorher auf der Ladefläche eines Pickups sitzend gesehen hatte. Er beugte sich zu der Bettlerin und sie entleerte ihm die Schürzentasche. Meine Kamera machte „Klick“. Der Fischverkäufer gegenüber beobachtete mich. Ich kam hinter der Säule hervor und wollte den Mann und die Autonummer dokumentieren.
Da wurde ich von hinten gepackt. Der Fischverkäufer starrte mich an, legte den Arm um meine Schulter und zog mich ins Halbdunkel seines Shops.
„What are you doing here?“fragt er in sauberem Englisch.
„Oh, ich möchte mehr über diese Bettlerin wissen. War das ein Verwandter von ihr? Wer kümmert sich um sie?“
„Das ist kein netter Verwandter. Kümmern Sie sich nie mehr um diese Frau und um andere Bettelnde hier. Das kann für diese Leute gefährlich werden. Und wollen Sie gesund bleiben? Dann spende Sie und nichts mehr nicht. Das hier ist genauso gefährlich wie die Drogenmafia. Und jetzt verschwinden Sie besser ganz schnell.“
Ich packte die Kamera in die Umhängetasche und kaufte ohne Hektik zwei Schollen bei ihm. Dann radelte ich mit schlechtem Gewissen nach Hause. Luck war nicht kaltherzig, sie wusste nur mehr als ich.
Anmerkung aus "The Nations": ...Auch Erwachsene werden gekidnappt und zum Betteln gezwungen. Um das Mitgefühl potenzieller Spender zu wecken, werden ihnen oft Gliedmaßen amputiert oder sie werden mit Säure verunstaltet. Manchmal werden Blutgefäße zugenäht, um die Blutzufuhr zu Teilen des Körpers zu blockieren, was zu Wundbrand führt....
Manfred Spies, November 2014
PS: Das war eine persönliche Erfahrung. Wie weit das zu verallgemeinern ist, weiss ich nicht. Wir spenden weiter, wenn wir sehen, dass es jemandem sehr schlecht geht. Gerade jetzt, vor dem "FEST DER LIEBE", wollen wir niemanden davon abhalten!
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