Dienstag, 7. November 2017

WARUM BERLIN?

Warum ich jetzt in Berlin bin, hat verschiedene Gründe. Bisher war ich seit 2011 bei meinem Cousin in Düsseldorf angemeldet. Keine Behörde kümmerte sich darum, ob ich auch dauerhaft oder mindestens ein halbes Jahr dort wohne. Mein Cousin ist gestorben und seine Frau ist mit ihrem grässlichen Krebs nur noch in der Klinik und wird ihm bald folgen. Das Haus wird verkauft, ich muss raus. 

Nach den seit 2015 neuen und 2016 verschärften Gesetzen (verständliche Gründe!) muss bei jeder Anmeldung der Vermieter/Hausbesitzer unterschreiben, dass der/die Angemeldete dauerhaft dort wohnt und nicht zum Schein angemeldet ist. Sonst drohen Strafen bis zu 50.000,- Euro. Seit ich weiss, dass ich in Düsseldorf raus muss, habe ich in Düsseldorf bei den vielen Verwandten und "Freunden" mit eigenen Wohnungen und Hausern (die Kinder sind raus) mit teilweise schönen Gästezimmern oder leeren Etagen angefragt. Ich habe auch Verständnis signalisiert und gebeten, mir Gründe für ihre evtl. Zurückhaltung zu schreiben. 
Sowohl ein Mitarbeiter der Behörde als auch ein Anwalt sagten mir, das sei alles halb so schlimm und niemand würde kontrollieren, wenn es keinen Grund gäbe und ich mein politisches Engagement nicht auf Attentate gegen Merkel oder Schulz ausdehne.;-)) Au0erdem sei für umfangreiche Kontrollen gar kein Personal vorhanden.

Es gab nur Absagen. Mich hat am meisten geschockt, dass mir 90% der Gebetenen keine Silbe geantwortet haben. Es wurde bis auf zwei Ausnahmen von über 30 Gebetenen nichts erklärt und und es hat auch in den vielen Wochen niemand gefragt, wie es mir geht und ob ich weiter gekommen sei. Das ist doch ernüchternd, um es sanft auszudrücken. Dazu werde ich noch etwas schreiben, weil es im Februar 2017 aus Düsseldorf eine ähnliche Situation gab.

Von weit entfernt wohnenden Bekannten, mit denen ich jahrelang überhaupt keinen Kontakt hatte, kamen Tips und wurde Hilfe angeboten. Ich war total verblüfft. Nun werde ich mich in einem Dorf in einer schönen Landschaft, umgeben von Wäldern und Seen neu anmelden und dauerhaft etwas mieten oder kaufen. Zusammen mit Luck werde ich dort Urlaub machen und viele Monate im Jahr ein mir unbekanntes Deutschland erkunden.

Muss ich nun in der Zwischenzeit in Berlin von November bis Mitte Dezember ein Hotel oder eine Pension bezahlen? Nein. Ein Freund in Pakchong erfuhr von meinen Problemen und fragte einen Freund, der für mehrere Monate zusammen mit seiner Thai-Ehefrau von Berlin in sein Haus in der Nähe von Pakchong zieht, ob er Platz für mich hat. Gleich am nächsten Tag schrieb mir dieser „Peter aus Berlin“, ich kann in seine Wohnung in Zehlendorf gegen eine Mietbeteiligung beziehen. Auch habe ich dort gute Einkaufsmöglichkeiten und er stellt mir seinen Internet-Anschluss, Winterkleidung (gleiche Größe!) und sein erstklassig ausgestattetes Fahrrad zur Verfügung. Ja, das war wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen. 
Das gibt es also auch. Hilfsbereitschaft, Freundschaft….






Ich habe in Berlin in den ersten Tagen im Regen und inzwischen im Sonnenschein die Gegend erkundet. Fantastisch. So viel Grün, so wunderbare, überall mit Bäumen gesäumte Strassen, so wunderschöne, alte Häuser, EDEKA, aldi, SATURN, dm, REWE, Bio-Company usw., usw., alles zu Fuß oder mit den Rad erreichbar. Und Restaurants und Imbisse in ausreichender Zahl: vier Thailänder (allerdings ALLES Vietnamesen), drei Chinesen, zwei Inder, drei Japaner, drei Italiener, zwei Griechen, ein Kroate, ein Tunesier. Und das alles in zu Fuß oder mit dem Rad erreichbarer Entfernung. 
Darüber werde ich noch berichten, wenn ich genügend Fotos habe.

Ich weiss nicht, ob es an meinem Karma oder .- wie Luck sagen würde -. an den guten Geistern liegt. Aber ich treffe hier nur freundliche, hilfsbereite Menschen. 

Begegnungen in Berlin: Auf der Straße begrüßten mich junge Leute mit "Hallo" oder "Hi", die ich gar nicht kenne. Ich fragte mich, ob ich die Hose offen habe oder sonst eine ungewöhnliche Erscheinung bin.

Eine schöne Frau in reiferem Alter lächelte mir zu. Ich bremse meinen Schritt und fragte sie, ob sie mir einen Wunsch erfüllt, wenn sie mich schon unbekannterweise so freundlich anlächelt. Sie lächelte wieder, aber etwas unsicher, und fragt nach meinem Wunsch. "Ich möchte ihren die Hand küssen, mein Lächeln wäre als Antwort lächerlich." Nun lachte sie auch mit den Augen und reichte mir die Hand. Ist das nicht wunderbar?

Bevor ich das Fahrrad hatte, lief ich kilometerlang mit meinen kaputten Knien und Füßen herum. Vor drei Tagen konnte ich wirklich nicht mehr weiter und suchte eine Bushaltestelle. Es regnete. Der Bus kam und ich sagte "Sundgauer Strasse, Ecke Berliner Strasse". Der weisshaarige Mann lächelte mit blauen Augen und sagte, " Nu setz dir ma hin, ik fahr gleich los." Ich wollte bezahlen. "Is jut, ik nehm dir so mit, is na bloss det kleene Stück." Ist das nicht wunderbar?


Wahrscheinlich kann man das nicht verallgemeinern. Aber es gäbe noch viel mehr zu beschreiben, was mich hier begeistert, selbst wenn es regnet. Wenn der morgens die Regale einsortierende Filialleiter von EDEKA mit mir durch den ganzen Laden geht, um mir zu zeigen, wo ich den Feta-Käse finde, ist das hilfsbereit und "menschlich". 

Der diesjährige dokumenta-Leiter Adam Szymczyk forderte die Rückbesinnung auf MENSCHLICHKEIT in der Kunst. Der Kunstmarkt sei pervertiert. Klar, in einer von Kapitalismus und Konsum geprägten Welt ist für Mitmenschlichkeit kein Platz, weder in der Kunst, in der Politik, in der Produktion noch in der Altenpflege, die demnächst von Robotern übernommen werden soll, gefördert durch die Politik. Und am 24. Juli ist wieder der jährlich stattfindende Tag der "virtuellen Liebe." Schöne neue Welt.

Ja, es gibt Ausnahmen. Aber leider sind sie in einer satten, mit so viel "freier" Zeit und mit den Werten der Aufklärung und des Christentums ausgestatteten Welt nicht die Normalität..
Bin ich zu anspruchsvoll? Bin ich verrücht? Vielleicht.

Manfred Spies, 7. November 2017




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